Kultur
Odyssee - eine integrative Kunst-Performance
Kunst trotz(t) Ausgrenzung
Die Skulpture Odyssee in der Documentahalle (Quelle: heldmann.photography)
GDN -
Die bemerkenswerte Wanderausstellung "Kunst trotz(t) Ausgrenzung" der Diakonie wurde Anfang Februar in der Kassler Documentahalle eröffnet (siehe dazu unsere Fotogalerie). Eines der markantesten Objekte ist die Skultur "Odyssee". Jetzt trafen sich einige ihrer Schöpfer in Kassel.
Der Beitrag des deutschen Künstlers Wolf könnte aktueller nicht sein. Unter dem Titel "Odyssee" wird danach gefragt, was Kunst und gemeinsames Schaffen zur Integration der Einwanderer beitragen können. Der aus der griechischen Antike stammende Begriff "Odyssee" ist treffend gewählt: entlehnt aus Homers gleichnamiger Dichtung, ist er Synonym für eine nicht enden wollende Irrfahrt. "Unser Ziel ist es, einen Anfang zu machen, eine Plattform zu schaffen, auf der sich beide Seiten, Flüchtlinge wie Einheimische, für ein Miteinander öffnen können“, sagt Wolf. Diese Plattform abstrahiert Wolf in seinem Floß. Ein Floß ist ein Rettungsvehikel einerseits, bedeutet aber auch Verderben andererseits. Für diejenigen, die sich nach einem Schiffbruch auf ein Floß retten, ist der Überlebenskampf noch nicht vorbei. Ein Floß verfügt weder über Antrieb, noch über ein Steuer - es treibt. Ziel und Ausgang der Fahrt sind völlig offen.
Wolfs Floß, gezimmert aus den recycelten Balken alter Scheunenabrisse, wird zusammen gehalten durch Eisenbleche, mit hunderten von eingeschlagenen, geschmiedeten Nägeln. Der Nagel ist das älteste bekannte Verbindungselement der Eisenzeit, Grundlage unseres Fortschritts. Kein Haus, kein Schiff existierte ohne den stählernen Nagel. Stahl ist historisch, wirtschaftlich wie kulturell, ein die Menschheit entscheidend definierendes Material. Härtbarer Stahl wurde bereits bei den Hethitern vor ca. 3500 Jahren hergestellt, gleichermaßen für Waffen wie Pflugschare. Die technisch-wirtschaftliche Entwicklung des Stahls, und seine Bedeutung für unsere Kultur wie auch für die Rüstung, bedingen seinen enormen, brisanten politischen Einfluss.
"Wir leben in einem Moment, in dem sich Verschiedenheit überall auf der Welt als Hässlichkeit zu verbreiten scheint", sagt der Künstler in Bezug auf die Flüchtlingskrise in Europa. “Ich möchte dem die Kunst entgegenstellen. Dieser Tragödie ein massives Floß entgegenzustellen, das diesen Wellen trotzt und die Schönheit und Kraft menschlicher Brüderlichkeit trägt, treibt mich vorwärts. Ich tue das nicht aus sozialer Verantwortung", stellt der Künstler klar, "sondern aus persönlicher Dringlichkeit." Voraussetzung dafür ist ein partizipatorischer Entwurfsprozess, um die Bedürfnisse der eingewanderten künftigen Bürger zu definieren. Zentrales Thema ist dabei immer wieder die Frage, wie man Probleme kultureller und wirtschaftlicher Ausgrenzung lösen kann. Wolf möchte keine politische Diskussion anheizen und kann auch keine Lösung bieten, sondern Anstöße für Ideenfindungen kreieren. Damit veranschaulicht Wolf die poetische Dimension menschlichen Handelns. Kunst, wie schon bei Rimbaud und Proust, ist etwas nur durch den Menschen mögliches. Wolf bietet uns die Möglichkeit, über den Erwerb einzelner Nägel, die stellvertretend im Kunstwerk verbaut werden, aktiv Teil des Kunstwerkes und der ganzen Aktion zu werden. Mit "Odyssee" zeigt Wolf, wie Kunst zu Integration, Kultur und Gemeinschaftlichkeit beitragen kann und uns so umso intensiver daran Teil haben lässt.
Seit Mai 2016 erschuf der Bildhauer Georg Friedrich Wolf mit mehreren Dutzend geflüchteten Menschen eine massive Skulptur aus Stahl und Holz.
Bis Anfang September erlernten Vierer-Gruppen von Frauen und Männern jeden Alters das Schmieden von großen, eisernen Nägeln. Sie erhitzten Eisenstangen auf über tausend Grad, spitzten das Ende durch Schläge zwischen Amboss und Hammer und formten dann jeweils zu zweit einen Nagelkopf durch abwechselndes zuschlagen. Hin und wieder betrat zögernd ein Bewohner der umliegenden Dörfer die Werkstatt. Man stellte sich vor und kam ins Gespräch - mit Händen, Füssen und etwas gebrochenem Deutsch. Dann bekam der Neuankömmling eine Lederschürze und durfte ebenfalls einen Nagel schmieden. An einem Amboss in der Ecke steht ein Geselle und lässt sich Namen notieren. Basir, Ahmed, Karl, Layla - jeder versieht einen geschmiedeten Nagel mit dem eigenen Namen.
In den ersten zwei September Wochen erreichte die Kunst-Performance ihren Höhepunkt. Dann kamen die tausenden geschmiedeten Nägel zum Einsatz. Sie halten die schweren Holzbalken mit Hilfe von Eisenstreifen zusammen. Nach und nach errichteten Wolf und alle jene, die dafür zurück gekommen sind, auf einem Feld ein abstraktes Floß.
Nun sind viele der Beteiligten nach Kassel gereist, um sich ihr Werk dort in der Ausstellung "Kunst trotz(t) Ausgrenzung" anzusehen und erneut anzueignen.
Der Text wurde unter Verwendung von Texten aus der Homepage des Künstlers Georg-Friedrich Wolf erstellt (https://www.wolf-werk.com/de.performance.odyssee.html).
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