Musik

Die New Yorker Straßenmusikerin Nessa Dove

“Come Together“


(Quelle: Mario Graß)
(Quelle: Mario Graß)
GDN - In den U-Bahn-Stationen New Yorks verkürzen seit jeher Musiker, darunter oftmals bemerkenswerte Talente, den Fahrgästen die Wartezeit. Eine von ihnen ist die Sängerin und Gitarristin Nessa Dove, die “German Daily News“ Einblicke in das Leben einer New Yorker Straßenmusikerin gewährte.
Als die junge Musikerin Nessa Dove vor einigen Wochen, an einem Samstagabend, in der belebten New Yorker U-Bahn-Station “Union Square“ die wartenden Fahrgäste mit ihrer Musik unterhielt, vernahm sie plötzlich laute, unzusammenhängende Rufe, die, wie sie aus ihren Augenwinkeln erkennen konnte, von einem Mann stammten, der sich wankend auf einem Treppenaufgang bewegte. Es handelte sich offenkundig um einen Obdachlosen, der einen verwirrten Eindruck machte, die Treppen hinunterstolperte und auf die Musikerin zutrat.
In New Yorks U-Bahn-Stationen begegnen sich täglich die unterschiedlichsten Menschen dieser bunten Stadt. Aufgeregte Touristen aus aller Herren Länder treffen auf ihrem Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit erschöpfte Arbeiter, die nach getanem Tagwerk den Heimweg antreten. Bankangestellte im feinen Zwirn, teilen sich ihre Sitzbank mit Sportbegeisterten, die, ausgestattet mit den Trikots ihrer favorisierten Footballteams, unterwegs zum Stadion sind. Gesetzte Herrschaften, die soeben die neueste Broadwayproduktion begutachtet haben, stehen neben einer Gruppe junger Leute, auf dem Weg zur derzeit angesagtesten Bar und händchenhaltenden Paaren scheint es zu gelingen, ihre ruhelose Umgebung vollständig auszublenden.
Auf den überfüllten Bahnsteigen bemühen sich alleinerziehende Mütter, ihr Kleines unbeschadet durch die Menschenmengen zu bugsieren, ohne dabei den fantastischen Musikern, die in der Hoffnung auf eine kleine Spende und ein wenig Applaus, ihre Kunst darbieten, ausreichend Aufmerksam schenken zu können. Neben der Bank, auf der Studenten ihr Gesicht hinter einem aufgeschlagenen Buch verstecken, hocken die Verlierer der Gesellschaft, verwahrloste Obdachlose und Bettler, deren einziger verlässlicher Halt eine Flasche Alkohol, die sie unter ihrer löchrigen Decke versteckt halten, geblieben zu sein scheint. Manchmal kommt es zwischen all diesen unterschiedlichen Menschen zu Begegnungen, die über einen flüchtigen Augenkontakt hinausgehen.
Der Obdachlose, der sich schwankend in Nessa Doves Richtung bewegte, habe einen unberechenbaren Eindruck seine Umgebung gemacht, weshalb sich zunächst einige der Zuhörer schützend zwischen sie und den Mann gestellt hatten, erinnert sich die Musikerin. Im Laufe des Abends habe dieser sich jedoch als gänzlich harmlos entpuppt und begonnen in ekstatischen Bewegungen zu ihrer Musik zu tanzen.
“Wir spielten einen unseren Lieblingssongs - “Come Together“ von den Beatles. Als er zu tanzen begann, fiel mir auf, wie perfekt der Songtext zu der Situation passte. `One thing I can tell you is you've got to be free, come together, right now, over me.` Ganz und gar unterschiedliche Leute standen zusammen und lauschten meiner Musik, aber er schien der Freieste von uns allen zu sein. Diesen Mann kümmerte nicht, was andere über ihn dachten. Er hatte nichts zu verstecken!“
Mario Graß
Als Nessa zu später Stunde einige langsamere Instrumentalstücke anstimmte, setzte sich der Obdachlose im Schneidersitz friedlich vor die Musikerin und begleitete diese, indem er mit einem Metallgegenstand, den er bei sich trug, rhythmisch auf den Boden klopfte. “Irgendwann stand er auf und griff sich einen der Flyer, die ich immer dabei habe und für Interessierte seitlich von mir bereitlege. Er faltete ihn sorgfältig, steckte ihn sich in die Hosentasche und setzte sich wieder.“
Dies ist eine von zahlreichen Geschichten, die Nessa Dove, eine in Kanada geborene New Yorker Straßenmusikerin mit ostafrikanischen Wurzeln, bei ihren Auftritten in New Yorks U-Bahn-Stationen erlebt hat. Seit fünf Jahren lebt sie mittlerweile in der Stadt, um dort ihre große Leidenschaft, die Musik, auszuleben. Schon als Kind stand sie auf der Bühne, die zu jenem Zeitpunkt jedoch noch im elterlichen Wohnzimmer errichtet wurde. Eine Spielzeuggitarre oder ein imaginäres Mikrofon in den Händen haltend, sang sie zu der Musik von Michael Jackson, während ihre Eltern den Backgroundgesang beisteuerten. Sie lernte Schlagzeugspielen und erlangte erste Aufmerksamkeit, als sie bei Schulaufführungen das Publikum musikalisch unterhielt.
Quelle: Mario Graß
Schließlich entdeckte sie die Gitarre für sich, womit ihre musikalische Palette erheblich abwechslungsreicher wurde. Mehr und mehr gewann sie die Überzeugung, dass sie an ihrem erkennbaren Talent arbeiten sollte. Daher investierte sie ihr erstes selbst verdientes Geld umgehend in eine bessere Gitarre sowie Aufnahmeequipment und begann, sowohl mit einer Band als auch Solo, Auftritte zu absolvieren. Mittlerweile komponiert, arrangiert und produziert Nessa Dove den überwiegenden Teil ihrer Musik selbst und nahm bereits erfolgreich an mehreren Songwriting-Wettbewerben teil.
Quelle: Mario Graß
Quelle: Mario Graß
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Vor fünf Jahren hat sich Nessa ihren bereits lange bestehenden Traum erfüllt und ist nach New York gezogen. “Das war zunächst nicht leicht“, erinnert sie sich an ihre Anfänge in der Stadt. “Die ersten Jahre habe ich oft als Kindermädchen gearbeitet, um mich über Wasser zu halten.“ Doch sie nutzte jede Gelegenheit um mit anderen Musikern gemeinsam aufzutreten, begann als Straßenmusikerin Geld zu verdienen und erlangte Jobs als Sessionmusikerin. “Es ist schon eine Schinderei hier und wirklich nicht immer leicht, aber Du wächst daran, wenn Du mit Leidenschaft an die Sache gehst und das, was du tust, wirklich liebst. Ich hatte echte Tiefpunkte, aber mittlerweile bin ich sehr glücklich mit meiner Lebenssituation.“
Für Nessa gab es zu New York keine Alternative. “Hier kannst Du Dich mit anderen Musikern zusammenschließen, Herausforderungen meistern, überall Orte finden, an denen du auftreten kannst und du findest immer ein Publikum, egal welche Art von Musik Du machst. Allerdings ist die Konkurrenz riesig. Es gibt so viele gute Musiker hier, die alle das gleiche Ziel verfolgen.“
Quelle: Mario Graß
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In der Tat sind New York und die internationale Musikwelt untrennbar miteinander verbunden. Die Stadt am Hudson River ist die unumstrittene Metropole des Jazz, in der sich fast alle Größen, wie Louis Armstrong, Billie Holiday, John Coltrane, Charlie Parker, Miles Davis oder Ella Fitzgerald, ihren Namen gemacht haben. Für die New Yorker Rockszene der 1960er Jahre waren Musiker wie Bob Dylan, Jimi Hendrix und Paul Simon prägend.
Das Fillmore East in der Second Avenue erlangte aufgrund der legendären Auftritte von Frank Zappa, The Doors, Cream und den Byrds unter dem Namen “The Church of Rock and Roll“ Weltruhm, während der Punk-Rock, mit Bands wie The Ramones, Patti Smith und Blondie, in der Lower East Side seine Wurzeln hat, wo sich die Szene im angesagten Club “CBGB“ traf. New York City gilt zudem als die Wiege der Rapmusik, die Mitte der 1970er Jahre in der New Yorker Bronx entstand.
“Du musst in New York härter an dir arbeiten als anderswo ... aber `if you make it here you can make it anywhere`,“ lacht Nessa und ihr Blick verrät unzweideutig, dass sie genau diese Herausforderung bewältigen will.
Was sich in all den Jahrzehnten kaum verändert hat, ist die Tatsache, dass ein Musiker, der in New York Erfolg haben will, sich diesen in Clubs oder auf der Straße erspielen muss. Ein weiterer Ort, an dem Musiker rund um die Uhr ein Publikum erreichen können, ist die U-Bahn, die derzeit von über 300 Musiker als Auftrittsort genutzt wird. Und wer einmal in New York zu Gast war, weiß, welch erstaunliche Talente dort unten, fern vom Tageslicht, anzutreffen sind.
Seit jeher habe sie die U-Bahn-Musiker bewundert, offenbart Nessa. Sie habe über den Mut und das Selbstbewusstsein gestaunt, sich einen öffentlichen Ort zu suchen, um seine Musik einem Publikum zu präsentieren, das sich keineswegs dort eingefunden habe, um Musik zu hören, sondern lediglich rasch von einem Ort zum anderem gelangen wolle. Lachend erinnert sie sich an den Abend, an dem sie sich selbst zum ersten Mal auf diese Bühne gewagt hatte. “Es war wirklich keine angenehme Erfahrung.“ Sie habe zu jener Zeit weder ein Mikrofon noch einen Verstärker besessen. “Ich habe auf einer akustischen Gitarre gespielt und ein Freund hat auf Eimern dazu getrommelt. Niemand hat uns beachtet und wir haben an dem Abend nicht mehr als 8 Dollar verdient.“
Nach und nach habe sie sich das angemessene technische Equipment leisten können und gelegentlich mit einem befreundeten Gitarristen auf der Straße musiziert und sich schließlich, begleitet von einigen Freunden, zum ersten Mal getraut, alleine in der U-Bahn aufzutreten. “Im Laufe des Abends verschwanden meine Freunde und plötzlich stand ich dort alleine mit meiner Gitarre“¦ und es war großartig! Ich war wie berauscht.“ Ihre Augen leuchten noch immer, wenn sie von diesem Abend, der ihr sichtlich viel bedeutet, erzählt. “Ich habe viel mehr Geld verdient, als ich erwartet hatte und habe einen ganzen Stapel CDs verkauft. Die Leute haben es wirklich gemocht“¦“
Seit jenem Abend tritt Nessa Dove regelmäßig in der U-Bahn auf und auch wenn sie mittlerweile über ein gewisses Repertoire an eigenen Songs verfügt, spielt sie dort vorwiegend Coversongs. “Die Menschen, die ja ursprünglich nicht dort sind, um meine Musik zu hören, erkennen die Songs und bleiben stehen.“ Ein Stück, das stets gut ankomme, sei “Come Together“ von den Beatles, dessen Text die bestehende Situation bemerkenswert gut einfange. “In der Subway triffst Du auf jede Art von Mensch und in manchen Momenten werden sie alle durch die Musik miteinander verbunden.“ So wie es vor einigen Wochen geschehen ist, als der zunächst ungestüme Obdachlose auftauchte.
“Ich konnte beobachten, wie er sich bemühte, mit Leuten in Kontakt zu treten“, erinnert sich Nessa an jenen denkwürdigen Abend. “Wir hatten keine Angst mehr vor ihm. Er erschien ehrlich und liebenswert und wollte einfach dazugehören. Ich hatte mittlerweile mitbekommen, dass sein Name Bruce war.“ Und jener Bruce habe diesen Abend zu einem besonderen werden lassen. Wenn Nessa von der Begebenheit erzählt, spürt man wie sehr sie das Erlebte noch immer bewegt. “Ich habe erlebt wie dieser Kerl sich im Verlaufe des Abends völlig verändert hat. Von einem lauten, gefährlich wirkenden Typ zu einem liebenswerten und scharfsinnigen Menschen.“
Quelle: Mario Graß
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“Musik in der Subway gibt es seit der Eröffnung der ersten U-Bahn vor 110 Jahren“, äußerte der demokratische New Yorker Stadtrat Steven Levin, im Hinblick auf die lange Tradition von musikalischen Darbietungen an diesem Ort. “Sie ist ein Teil der New Yorker Kultur.“ Dennoch erfolgte in den 1930er Jahren unter dem damaligen Bürgermeister LaGuardia ein Verbot. Fortan mussten Musiker, die in den U-Bahn-Stationen zur Gitarre oder anderen Instrumenten griffen, mit empfindlichen Strafen rechnen, was Künstler wie Woody Guthrie und Pete Seeger jedoch keineswegs davon abhielt, diesen öffentlichen Raum zu nutzen, um sich Gehör zu verschaffen.
Nachdem sich diesbezüglich die Gesetzeslage im Verlauf der Stadtgeschichte wiederholt verändert hatte, ist das Musizieren in der New Yorker U-Bahn seit 1985 gleichbleibend legal. 1987 wurde gar das Förderprogramm MUNY (Music Under New York) mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Qualität und Vielfalt der dargebotenen Musik zu sichern. Um in diesem Programm aufgenommen zu werden, müssen Musiker ein Auswahlverfahren durchlaufen, sich zunächst erfolgreich bewerben und anschließend vor einer Fachjury einen Kurzauftritt absolvieren.
Was viele Musiker und auch manche Polizisten, die fälschlicherweise Straßenmusiker zu vertreiben versuchen, noch immer nicht wissen ist, dass in New York grundsätzlich jeder das Recht hat in der U-Bahn, auf Bürgersteigen und in öffentlichen Parks zu musizieren und hierfür Spenden entgegenzunehmen. Mitglieder des MUNY Programms erhalten lediglich das Vorrecht, an ausgesprochen attraktiven Standorten, wie dem Times Square, der Penn Station sowie in bestimmten Abschnitten des Grand Central Terminals, aufzutreten.
Quelle: Mario Graß
Nessa Dove hat mittlerweile ihren Stammplatz in der belebten U-Bahn-Station “Union Square“, wo sie für gewöhnlich am Wochenende zu erleben ist, gefunden. “An manchen Abenden habe ich viele Zuhörer, die Fotos oder Videos aufnehmen und begeistert applaudieren “¦ wenn ich dann am Ende des Abends meine Sachen zusammenpacke und die U-Bahn nach Hause nehme, bin ich manchmal noch ganz wirr im Kopf. Aber solche Abende sind die Motivation immer weiter zu machen. Das Spielen in der U-Bahn hat mir viel Selbstvertrauen gegeben.“
Nessas Wunsch ist es, zukünftig verstärkt eigene Kompositionen zu veröffentlichen, wie es ihr bereits vor 2 Jahren mit ihrer EP “Here we go“ (https://nessadove.bandcamp.com/releases), bei der sie sämtliche Songs geschrieben, arrangiert, produziert und eingespielt hat, gelungen ist. Mittlerweile hat sie einige neue Songs, die sie in Kürze im Studio aufnehmen möchte, komponiert. Sie selbst beschreibt ihre Musik als eine “Mischung aus unterschiedlichen Genres, wie Rock, Pop, Indie mit einer großen Portion Soul.“
Quelle: Mario Graß
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Sieht man Nessa zu ihrer Gitarre greifen, beantwortet sich die Frage nach ihren musikalischen Vorbildern von selbst, denn es ist rasch zu bemerken mit welchem Spaß und welcher Virtuosität sie insbesondere ihre Gitarrensoli mit “Wah-Wah“-Effekten bereichert und somit antwortet sie erwartungsgemäß auf diese Nachfrage: “Jimi Hendrix“. Generell sei sie stark von der Musik der 1960er Jahre beeinflusst und nennt als weitere Einflüsse die Beatles, Alanis Morissette, Prince und Lauryn Hill.
Natürlich hofft Nessa Dove auf einen guten Plattenvertrag und darauf ihr eigenes Gesicht eines Tages auf dem Cover eines angesehenen Musikmagazins zu entdecken, doch wenn man mit ihr spricht, ist spürbar, dass ihr Liveauftritte besonders viel Spaß bereiten. Für sie sei es wichtig, Menschen mit ihrer Musik zu erfreuen. “Ich möchte bewirken, dass sich Menschen gut fühlen und sich an der Musik erfreuen.“
Quelle: Mario Graß
Nessa Dove glaubt fest an die Kraft der Musik - eine Kraft, die Menschen zusammenführen kann und auch wenn die Musikerin davon träumt eines Tages riesige Menschenmassen bei gigantischen Open-Air-Festivals zu begeistern, verbindet sie bereits jetzt Menschen mit ihrer Musik, wie an jenem Abend als Bruce ihren Auftritt in der U-Bahn auf wundersame Weise bereichert hat. “Wo immer er jetzt ist. Ich werde Bruce nie vergessen.“ Lächelnd fügt sie hinzu: “Hoffentlich hat er noch seinen Nessa Dove-Flyer.“

weitere Informationen: https://www.nessadove.com/

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