Kultur
Anton Corbijn - umfangreiche Retrospektive in Berlin
Ein gutes Foto muss nicht perfekt sein
(Quelle: Mario Graß)
GDN -
Der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn hat mit seinen Porträts Images geschaffen und visuelle Identitäten zahlreicher Prominenter, vor allem aus der Musikbranche, geprägt. Bis zum 31. Januar 2016 zeigt das C/O in Berlin eine umfangreiche Retrospektive des Ausnahmefotografen.
Seine Porträts wirken oftmals flüchtig und unperfekt, doch gerade dieser Umstand macht sie zu mehr als reiner Oberfläche und Maskerade. Anton Corbijn hat Images geschaffen und visuelle Identitäten, beispielsweise von Bands wie U2 oder Depeche Mode, geprägt. Die intime Atmosphäre, die viele seiner Bilder vermitteln, erreicht Corbijn zum einen durch seine oftmals langjährigen Beziehungen zu einzelnen Bands und Musikern, aber wohl auch durch den Umstand, dass er nicht im Fotostudio arbeitet, sondern gerne im Freien und somit die vollständige Kontrolle über das Resultat vermeidet.
Bewusst sei ihm dieser Aspekt seiner Arbeit erst geworden, als er die Rolling Stones im Garten einer weitläufigen Farm ablichten wollte und ein skeptischer Mick Jagger entgegnete, dass dort die Situation doch ziemlich unkalkulierbar sei. Corbijn vermutete der Stonessänger habe Bedenken, das neugierige Fans die Aufnahmen stören könnten, doch dies war ein Missverständnis, denn Jaggers Sorge war, dass die Lichtverhältnisse vom Wetter und somit auch vom Zufall, abhängen würden. Erst in dem Moment sei ihm bewusst geworden, dass sich Licht ganz bewusst kontrollieren lässt, um Menschen besonders gut aussehen zu lassen. Doch dies sei nie sein Interesse gewesen. “Meine Bilder sind eher interessant als schön.“
Der Autodidakt Corbijn fotografiert bis heute analog. Seine Arbeitsweise macht jedes Shooting zu einem kleinen Abenteuer, bei dem er erst Tage später, nach dem Entwickeln des Filmes, endgültig erkennt, was er festgehalten hat. Es ist eine Methode, die altmodisch erscheinen mag, doch Corbijn möchte vermeiden, bei einem Bild überzogene Perfektion anzustreben, was seiner Ansicht nach eine große Versuchung der digitalen Fotografie ist.
“Ein gutes Foto muss nicht perfekt sein. Manchmal macht ein Fehler es erst interessant und realistisch, denn die Welt ist nicht immer perfekt.“ Die Rauheit, die Unschärfe, das Fragmentarische und die harten Kontraste verleihen Corbijns Porträts Authentizität, Melancholie, Verletzlichkeit und Intimität.
“Ein gutes Foto muss nicht perfekt sein. Manchmal macht ein Fehler es erst interessant und realistisch, denn die Welt ist nicht immer perfekt.“ Die Rauheit, die Unschärfe, das Fragmentarische und die harten Kontraste verleihen Corbijns Porträts Authentizität, Melancholie, Verletzlichkeit und Intimität.
“Ich habe immer nach innerer Schönheit und Zerrissenheit gesucht.“ Blickt man in das zerklüftete Gesicht von Tom Waits spiegeln sich darin Jahrzehnte Musikerleben wieder. Mick Jagger ließ sich mit Perücke, geschminkt und in Frauenkleidern, David Bowie nur mit einer Windel bekleidet und der chinesische Künstler Ai Weiwei gleich ganz ohne Bekleidung ablichten. Auf dem Porträt des deutschen Malers Gerhard Richter ist gar nur dessen Hinterkopf zu sehen, während der Künstler eines seiner eigenen Werke intensiv betrachtet.
“Musik war für mich so etwas wie das Gelobte Land“, erinnert sich Corbijn an seine Jugend. Als 17jähriger fotografierte er in Groningen die lokale Musikgruppe “Solution“ bei einem Konzert. Als die Bilder tatsächlich in einer Zeitschrift abgedruckt wurden, erkannte er die Chance, der Welt der Rockmusik, die ihn so sehr faszinierte und begeisterte, näherzukommen. Er zog nach London, wo er der Hauptfotograf des führenden Magazins “New Musical Express“ wurde. In dieser Phase seines Lebens traf er zahlreiche Künstler, mit denen er zum Teil bis heute zusammenarbeitet. Er gestaltete Bühnenbilder, Album-Cover und drehte in den 1980er Jahren zahlreiche Musikvideos.
In den letzten Jahren lenkte er seinen Fokus verstärkt auf Spielfilme und wusste auch als Regisseur von “Control“ (2007), “The American“ (2010), “A Most Wanted Man“ (2014) und “Life“ (2015) zu überzeugen. Der Fotografie schenkt er mittlerweile etwas weniger Aufmerksamkeit. Die Ausstellung, die derzeit in Berlin zu sehen ist, sei daher “auch ein bisschen ein Abschied von der Art, wie ich mich all die Jahre - seit ich 17 war! - in der Fotografie engagiert habe.“
Die sehenswerte Retrospektive im C/O Berlin präsentiert rund 600 Fotografien und weitere Exponate, die die Entwicklung vom Autodidakt zu einem der einflussreichsten Fotografen weltweit nachzeichnen. Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen: “Hollands Deep“ bietet einen Überblick über Corbijns gesamtes Werk der vergangenen 40 Jahre, während sich “1-2-3-4“ ganz auf seine Arbeiten aus der Musikwelt konzentriert.
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