Kultur
Rendezvous des tambours
Feier der Vielfalt
(Quelle: Mario Graß)
GDN -
Die Percussionband “Rendezvous des tambours“ versteht sich als ein Projekt, in dem sich die ganze Vielfältigkeit der Menschen wiederfindet. Doch auch wenn gegenseitiger Respekt sowie der Spaß am Musizieren im Zentrum stehen, wird deshalb nicht auf musikalische Qualität verzichtet.
Es ist früher Donnerstagabend und ich bewege mich durch ein, im Osten der Ruhrgebietsstadt Essen gelegenes, Fabrikgelände. Vorbei an einem Getränkemarkt und Autowerkstätten gelange ich zum letzten einer Reihe von Rolltoren, an dem ich von Holger Heydt, Kopf und Initiator der Percussion-Band “Rendezvous des tambours“, überaus herzlich empfangen werde. Nach und nach treffen die Mitglieder der Band ein, die mir alle ausgesprochen offen und freundlich begegnen. Bevor die wöchentliche Probe, der ich gleich beiwohnen werde, beginnt, unterhalte ich mich noch ein wenig mit Holger und erlebe einen derart authentischen und leidenschaftlichen Menschen, wie man ihn nicht oft, aber umso lieber trifft.
Kurz vor 19 Uhr betreten wir gemeinsam den Proberaum, in dem bereits eine beeindruckende Anzahl verschiedenster Schlaginstrumente angeordnet ist. Ich setze mich an den Rand, wo mein Blick auf eine Ansammlung kleinerer Instrumente, die unmittelbar vor mir auf dem Boden ausgebreitet sind, fällt. Timo, mit dem ich mich bereits draußen kurz unterhalten habe, kommt lächelnd auf mich zu, greift zielstrebig zu einer etwa handgroßen, aus Bast geflochtenen Rassel, die mir gänzlich unbekannt ist. Auf meine Frage erklärt er mir, dass es sich um eine Caxixi handelt. Noch ein weiteres Instrument weckt mein Interesse, doch trotz sichtbarer Anstrengung fällt Timo im Moment dessen Name nicht ein.
“Rendezvous des tambours“ vereint derzeit etwa 20 trommel- und rhythmikbegeistete Menschen verschiedenster Altersstufen, mit unterschiedlichstem beruflichen Background, mit und ohne Handicap, die sich wöchentlich in Essen zur Bandprobe versammeln. Diese Vielfältigkeit unterscheidet die Gruppe sicherlich von den meisten anderen Musikgruppen, doch letztlich stellt sie nichts anderes als einen Querschnitt unserer Gesellschaft dar. Die Unterschiedlichkeit liegt in der menschlichen Natur und eigentlich müsste es eher verwundern, dass die meisten Bands eher uniform zusammengesetzt sind.
“Rendezvous des tambours“ wurde 2006 durch den Musiker Holger Heydt, der seit einigen Jahren Workshops und Kurse für rhythmikinteressierte Menschen aller Altersstufen sowie spezielle Angebote für Menschen mit Behinderung leitet, als Zusammenschluss zwei seiner Schülergruppen ins Leben gerufen. In den vergangenen Jahren ist bereits viel passiert. Weit über 100 Auftritte im In- und Ausland wurden absolviert und auch über mehrere Preise, darunter der Musik-Förderpreis “Europa Intakt“, sowie den 3. Platz beim Wettbewerb “SeeYou-Festival“, dem Jugend-Kulturpreis NRW, durfte die Gruppe sich freuen.
Im Proberaum haben alle Beteiligten mittlerweile ihre Plätze eingenommen. Bei der heutigen Probe handelt es sich um kein gewöhnliches Zusammentreffen, sondern um die Generalprobe für das morgige Konzert in Solingen. Nach kurzer Ansprache von Holger, der einige kurze Instruktionen und Tipps für den anstehenden Auftritt gibt, gilt alle Aufmerksamkeit der Musik. Beginnend mit einem ruhigen Vorspiel durch zwei Musiker setzt urplötzlich die gesamte Gruppe ein und es entsteht von der ersten Sekunde an ein ungeheuer voller, mitreißender Sound, der weitaus differenzierter ist, als ich dieses in meiner Vorstellung erwartet hatte. Großartig!
Es wird mir schnell unmissverständlich klar, dass ich hier keinesfalls die Therapiesitzung eines Sozialprojektes erlebe, sondern die ganz normale Probe einer Band, mit der einzigen Besonderheit, dass sich unter den Anwesenden eine hohe Anzahl von der Gesellschaft stigmatisierter Menschen befindet. Und auch wenn alles sehr herzlich, mit Spaß und in freundlichem Ton stattfindet, fordert Holger Heydt dennoch Präzision und Konzentration von allen Beteiligten.
Bei längerem Zuhören und Zusehen wird immer deutlicher, dass die Vielfältigkeit der Musiker das Niveau der Musik keineswegs einschränkt, sondern, ganz im Gegenteil, die Qualität erst ausmacht, denn jeder einzelne Mitwirkende bringt seine Persönlichkeit in das Gesamtbild ein. Jugendliche, Erwachsene, Hartz-4 Empfänger, Akademiker, Menschen mit geistigen, körperlichen oder psychischen Handicaps verbinden sich zu einer Einheit und genau dadurch entsteht etwas ganz Wunderbares.
Es ist überaus faszinierend zu erleben, welche Prozesse, während des gemeinsamen Musizierens, innerhalb der Gruppe entstehen. Auch wenn die meisten Impulse von Holger Heydt ausgehen, kann ich dennoch wiederholt beobachten, wie jemand durch einen Blick, eine Geste oder eine musikalische Aktivität seinen Nachbarn oder sein Gegenüber inspiriert und einen Prozess auslöst, der nach wenigen Augenblicken von der gesamten Gruppe aufgenommen wird.
Wer “Rendezvous des tambours“ zum ersten Mal live erlebt, zeigt sich zumeist erstaunt, dass solch ein hohes musikalisches Niveau erreicht wird, obwohl die Band doch zahlreiche Mitglieder mit offenkundigem Handicap einbezieht. Doch gerade in diesem “obwohl“ zeigt sich ein eklatanter Denkfehler, denn das musikalische Niveau entsteht nicht obwohl, sondern gerade weil die Gruppe solch unterschiedliche Charaktere vereint.
Kurz vor der Pause der Probe kommt Timo erneut auf mich zu, deutet auf das Percussioninstrument, das vorhin meine Aufmerksamkeit und Neugierde geweckt hat und verkündet mir strahlend: “Das ist eine Cabasa. Der Name ist mir gerade wieder eingefallen. Manchmal brauche ich ein bisschen länger“¦“ und fügt lachend hinzu: “Aber das macht ja nichts.“ Recht hat er.
Wer die Gelegenheit hat einen Auftritt von “Rendezvous des tambours“ zu erleben wird eine energiegeladene Show, von hoher musikalischer Qualität und einer spannenden Vielfältigkeit von Akteuren erleben. Daneben versteht sich die Gruppe, nach eigenen Angaben, auch als ein Statement für die Toleranz der Vielfalt, was jedoch, wenn man genauer hinsieht, zu wenig gesagt ist. “Rendezvous des tambours“ feiert die Vielfalt. Um das zu verstehen braucht es keine Worte - alleine das Hinschauen und Hinhören reicht aus.
weitere Informationen: https://www.rdt-orchester.de
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