Kultur
Eine Vollmondnacht mit Pina Bausch
“Motion und Emotion“
GDN -
Rund 10 Jahre nach der Uraufführung ist derzeit am Wuppertaler Opernhaus erneut das Stück “Vollmond“ von Pina Bausch zu sehen. Der Kartenverkauf - sämliche Vorstellungen sind ausverkauft - und die Reaktionen des Publikums zeigen, dass die Faszination, die Bauschs Werk auslöst, ungebrochen ist.
Die Augen müssen sich zunächst etwas an das dämmrige Licht auf der Bühne gewöhnen, bis langsam und schemenhaft ein flaches Flussbett sowie ein vom Wasser umspülter Felsbrocken sichtbar werden. Zwei Männer stehen am Ufer des schmalen Gewässers, auf dessen Wasseroberfläche sich das fahle Licht des Vollmondes spiegelt. Leicht federn sie in den Knien, als würden ihre Körper das ruhige Fließen des Wassers in sich aufnehmen.
Die Bewegungen werden intensiver. Ihre Arme beginnen zu schwingen und entlocken somit den leeren Plastikflaschen, die sie in ihren Händen halten, sanfte, vibrierende Töne, als aus der nächtlichen Dunkelheit, zwei weitere Männer auftauchen, die lange Holzstöcke durch die nächtliche Luft peitschen und damit einen weitaus schärferen Klang erzeugen. Musik ertönt, der sich die Leiber der Anwesenden offenbar nicht entziehen können. Sie geraten in Bewegung und Sekunden später peitschen ihre Körper selbst, angestachelt von treibenden Beats, durch die Luft.
Musik liegt in der Luft “¦ Musik ist Bewegung “¦ Musik ist Tanz “¦
Musik liegt in der Luft “¦ Musik ist Bewegung “¦ Musik ist Tanz “¦
So beginnt das Stück “Vollmond“ von Pina Bausch, das am 11. Mai 2006 in Wuppertal uraufgeführt wurde und 10 Jahre später an gleicher Stelle erneut präsentiert wird.
Einzig das Licht des Vollmondes beleuchtet das Geschehen auf der Bühne und dieser scheint auf die Tänzerinnen und Tänzer einen geradezu betörenden Einfluss auszuüben. Sie rennen und springen, küssen und necken sich, halten sich fest und lassen sich wieder los. Diese Ausgelassenheit vermischt sich mit einer sehnsüchtig-klagenden Stimmung, die über der gesamten Szenerie zu schweben scheint.
Einzig das Licht des Vollmondes beleuchtet das Geschehen auf der Bühne und dieser scheint auf die Tänzerinnen und Tänzer einen geradezu betörenden Einfluss auszuüben. Sie rennen und springen, küssen und necken sich, halten sich fest und lassen sich wieder los. Diese Ausgelassenheit vermischt sich mit einer sehnsüchtig-klagenden Stimmung, die über der gesamten Szenerie zu schweben scheint.
Weit breiten die Tänzer ihre Arme aus, schauen nach oben, wollen größer werden, die ganze Welt umfassen, statt nur das Gegenüber. Der eigene Körper scheint nicht auszureichen. Das Bühnengeschehen dreht sich um Liebe, um das Küssen, um die Sehnsucht nach einem Partner und auch um das möglichst schnelle Öffnen von BHs. Die Tänzer kreisen dabei um die Frage des Abends: “Was ist besser - eine große Liebe, mit allem Drum und Dran, alles auf einmal, oder lieber ein bisschen Liebe jeden Tag?“
Außerordentlich bemerkenswert ist, wie unaufdringlich das Motiv der sternklaren Vollmondnacht, in der an Schlaf nicht zu denken ist, inszeniert wird. Der Mond ist für den Zuschauer nie zu sehen und wird nur selten erwähnt und doch ist er, allein durch den Einfluss den er auf die Agierenden ausübt, durchgehend wahrnehmbar.
Tänzer driften scheinbar ziellos in die Kulissen, sind hin- und hergerissen von introvertierter Selbstqual und enthemmter Extrovertiertheit. Einladend klopf eine Tänzerin auf einen Stuhl: “Gespenster“, raunt sie mit kehliger Stimme, “müssen auch manchmal sitzen.“ Fraglos - eine magische Nacht bricht an. Man greift beherzt gleich zu zwei Gläsern Wein, denn “es ist Vollmond. Man wird nicht betrunken.“
Tänzer driften scheinbar ziellos in die Kulissen, sind hin- und hergerissen von introvertierter Selbstqual und enthemmter Extrovertiertheit. Einladend klopf eine Tänzerin auf einen Stuhl: “Gespenster“, raunt sie mit kehliger Stimme, “müssen auch manchmal sitzen.“ Fraglos - eine magische Nacht bricht an. Man greift beherzt gleich zu zwei Gläsern Wein, denn “es ist Vollmond. Man wird nicht betrunken.“
Zeitzeugen und Experten stellen häufig herraus, das Pina Bauschs Stücke im Verlaufe der Jahre etwas heiterer geworden seien. Die Lust an Sinnlichkeit und Schönheit sei in den späteren Stücken deutlicher zu spüren und nicht zuletzt auch die Lust am Tanzen. Für “Vollmond“ trifft diese Beobachtung in jedem Fall zu. Der Drang zu tanzen, Licht zu suchen, Wassertropfen zu fangen und zu spüren, ist unverkennbar. Kleine Wellenbewegungen durchziehen die Handgelenke oder große Wellen gleich die gesamten Körper, die durch die leichten, bodenlangen Kleider der Tänzerinnen, geradezu zu schweben scheinen. Dem gesamten Stück haftet etwas Schwebendes an.
Der Filmregisseur Wim Wenders sagte einmal “bei Bausch finde zusammen, was im englischen Sprachraum zwei Worte brauche: motion und emotion, Bewegung und Gefühl“. Dank dieser neuen Sprache, die Pina Bausch geschaffen hat, lässt sich im Tanztheater etwas erleben, was unsere Unterhaltungsindustrie immer mehr zu zerstören scheint, nämlich etwas Echtes. Auch weil Pina Bausch mit ihrer Kunst nicht, wie andere Künstler ihrer Zeit, die beängstigende politische Weltlage kommentierte, sondern sich stattdessen dichter an den einzelnen Menschen heranwagte, gehen einem die Stücke auch näher.
Sie holte das Leben, das Irdische auf die Bühne, ließ ihre Tänzer in Erde treten und auf Dreck stampfen oder im Wasser tanzen. “Vollmond“ ist in erster Linie ein Wasserstück. Wasser prasselt als Regen vom Bühnenhimmel. Man gießt es aus Plastikflaschen in bereits übervolle Gläser, schöpft es mit Eimern aus dem Fluss, um es über dem Felsen, dem Bühnenboden oder auch dem eigenen Körper wieder auszugießen.
Zum Finale des Stückes werden diese Wasserspiele immer ungestümer. Alles scheint jetzt überzufließen, bis die Bühne nahezu vollständig unter Wasser gesetzt ist. Am Ende sitzen die Tänzer auf dem Boden, wie Kinder am Strand und schlagen selbstversunken mit den Fäusten auf den nassen Boden. Die schlaflose Nacht ist vorüber und als sich die Tänzer sichtlich erschöpft für den Schlussapplaus aufreihen, rinnt ihnen Wasser über das Gesicht wie Tränen.
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