Musik
Mit BAP in die erste Liga
Niedecken feiert FC-Aufstieg in Kassel
(Quelle: Mario Graß)
GDN -
Während der aktuellen Tournee erhalten die Fans die Gelegenheit, neu arrangierte Songs von BAP, im vorwiegend akustischen Gewand, zu erleben. Mit einer gelungenen Mischung aus Raritäten und Klassikern konnte die Band um Wolfgang Niedecken die Zuschauer im ausverkauften Kasseler Opernhaus begeistern.
Der Bereich der Technik am rechten Bühnenrand ist hingebungsvoll mit Wimpeln des 1.FC Köln dekoriert und über der Rückenlehne des Stuhles, auf dem gleich Wolfgang Niedecken Platz nehmen wird, ist ein Shirt mit der Aufschrift “FC jeff Jas!“(“FC gib Gas!“) drapiert. Als die Musiker um 20 Uhr die Bühne des Kasseler Opernhauses betreten, tauchen drei überdimensionale Kronen über der Bühne auf: das Symbol der Heiligen drei Könige, dem Kölner Wappen entliehen. Wolfgang Niedecken hätte, als glühender Anhänger des 1.FC Köln, den heutigen Abend vermutlich lieber im RheinEnergie-Stadion verbracht, wo der FC zum entscheidenden Spiel gegen den VFL Bochum antritt, um vorzeitig den Aufstieg in die erste Bundesliga zu besiegeln.
Mit “Noh all dänne Jahre“ eröffnet die Band das Konzert und erzeugt vom ersten Moment an eine elektrisierende Spannung, die bis zum Ende des Auftritts anhalten wird. “Wieder ein Jahr älter oder weiser, kommt drauf an. Jedenfalls steht fest, dass man da nichts dran ändern kann. Eigentlich alles super, man weiß, wo man hingehört“, singt Niedecken mit sanfter, angenehmer Stimme.
Wie wohl jeder im Saal weiß, hat der mittlerweile 63jährige Musiker vor etwa zweieinhalb Jahren einen Schlaganfall überlebt. Ein Ereignis, das ihn verändert hat. “Mir ist klar geworden: Jetzt bin ich auf der Zielgeraden. Aber diese versuche ich zu genießen, indem ich wirklich nur noch das mache, was ich wirklich will.“ Dazu zählt auch die lange geplante und jetzt endlich realisierte “BAP-zieht-den-Stecker-Tour“, bei der Songs aus der langen Bandgeschichte im vorwiegend akustischen Gewand präsentiert werden und die BAP bis in den Herbst hinein durch über 50 Städte führen wird.
Gleich zu Beginn des Abends gibt Niedecken unumwunden zu: “Wir werden heute vielleicht ein bisschen unkonzentriert sein“ und spielt damit auf die entscheidende Begegnung im fernen Köln an. “Wir werden uns auf jeden Fall die Zwischenergebnisse durchgeben lassen.“ Doch gedanklich abwesend wirken die sieben Musiker erfreulicherweise nicht und präsentieren ein reizvolles Repertoire mit Stücken aus der langjährigen Karriere von BAP sowie den Soloalben Wolfgang Niedeckens. Entsprechen dem Motto der Tour, stehen ruhigere Lieder im Vordergrund. Neben einigen Klassikern, die beim ersten Akkord sogleich vom Publikum gefeiert werden, enthält die Setlist erfreulicherweise aber auch zahlreiche selten gespielte Raritäten.
“Zosamme alt“, der Titelsong des aktuellen Soloalbums von Wolfgang Niedecken, erklingt. “Schließlich war der Herbst gekommen, plötzlich stand er vor der Tür, und so wie es aussieht, wird der Troubadour jetzt mit seinem Schutzengel zusammen alt“, heißt es in dem nachdenklichen Text. Er gehe das Leben jetzt “höösch“ an, erklärt der Sänger, was auf Kölsch etwa “mit Ruhe und Gelassenheit“ bedeutet. Auch vor diesem Hintergrund erscheint die Akustik-Tournee, mit den leiseren Instrumentierungen, der intimen Atmosphäre und der sitzenden Band, durchaus folgerichtig.
Es folgt “Magdalena“ mit einem begeisternden Percussion-Solo vom, aus Marokko stammenden, Gastmusiker Rhani Krija, der den Sound der Band, während des gesamten Konzertes prägt und zahlreichen Songs einen besonderen Glanz verleiht. Der Musiker, der schon mit Sting, Herbie Hancock und Placido Domingo auf der Bühne stand, ist ein wahrer Glücksfall und eine enorme Bereicherung für BAP, zumal er sich nicht übermäßig in den Vordergrund spielt, sondern sich vortrefflich in das Bandgefüge integriert. Generell harmonieren die Musiker auf der Bühne ausgezeichnet miteinander, spielen auf hohem Niveau und setzten die neuen Arrangements feinfühlig und äußerst geschmackvoll um.
Das musikalische Gerüst bilden die langjährigen Weggefährten Niedeckens: Michael Nass an den Keyboards, Jürgen Zöller an den Drums und Werner Kopal am Bass. Für den, aus familiären Gründen verhinderten Stammgitarristen Helmut Krumminga ist Ulrich Rode eingesprungen, der sich ausgezeichnet in die Band einfügt und wiederholt Sonderapplaus vom Publikum erhält. Doch für die Glanzlichter sorgen an diesem Abend vor allem die beiden Gastmusiker. Neben Rhani Krija ist dies Anne de Wolff, die bereits seit 2006 bei zahlreichen Liveauftritten und so auch an diesem Abend, den Sound von BAP erheblich bereichert. Umringt von zahlreichen Instrumenten, sitzt sie am linken Bühnenrand.
“Wir haben ihr vor den Proben gesagt, sie soll mal einfach alles mitbringen, was sie zu Hause rumstehen hat und dann schauen wir mal, was man davon gebrauchen kann“, erzählt Wolfgang Niedecken und kommt lachend zu dem Schluss: “Wir haben dann gemerkt, dass man das alles gebrauchen kann.“ Somit kommen Violine, Cello, ein Harmonium, Percussions, eine Mandoline sowie ein Xylophon zum Einsatz und als die blonde Multiinstrumentalistin bei “Ich wünsch mir, du wöhrs he“ zur Posaune greift und dem Song einen bezaubernden Feinschliff verleiht, fragt man sich geradezu, welches Instrument sie eigentlich nicht spielen kann.
Während die Band “Nöher zo mir“ spielt, erblicke ich einen Bühnentechniker, der Anne de Wolf die ernüchternde Nachricht zuraunt: Bochum führt 1:0 in Köln. “Viel zu viele Gedanken, Schädel explodiert, Überdosis Bilder, überinformiert“, singt Niedecken mit ruhiger Stimme. De Wolf legt die Stirn in Falten und scheint es vorzuziehen dem Bandleader diese Nachricht vorzuenthalten. Doch schon kurz darauf, als die Musiker den Latin-Sound von “Shoeshine“, das im sonnigen Costa Rica entstanden ist, erklingen lassen, hämmert der eingewechselte Marcel Risse den Ball links ins Eck und Niedecken singt: "Es geht alles klar, wenn man es nur fest genug glaubt.“
Es folgt Niedeckens Liebeserklärung an seinen Club: “Woröm dunn ich mir dat eijentlich ahn?“ “Bei uns zu spielen ist eine Ehre. Das hier ist der FC“, heißt es in dem Song. Die Bühne ist in rot-weißes Licht getaucht und, als wäre es eine perfekt einstudierte Choreografie, erzielt Patrick Helmes das 2:1 für die Kölner. Als Niedecken einen Zusammenhang wittert, kündigt er lachend an: “Den Song spielen wir jetzt zwanzigmal pro Abend.“
Kurz darauf erfolgt für die Band und die Zuschauer (“Ihr müsst euch ja auch vom Sitzen erholen“ - Wolfgang Niedecken), zu einem Zeitpunkt, an dem bei manch anderem Künstler sich das Konzert bereits dem Ende zuneigen würde, eine Pause, nach der es mit “Et Levve ess en Autobahn“ schwungvoll weitergeht. Während des Songs reckt plötzlich der Techniker am Bühnenrand, der sein wachsames Auge offenkundig nicht nur auf den Reglern vor sich ruhen lässt, jubelnd die Arme nach oben. Niedecken nickt zufrieden und singt strahlend: “Das Leben ist ´ne Autobahn “¦ 3:1 “¦ und führt uns durch das Jahr in Richtung morgen.“
Das bewegende “Noh Gulu“ mündet in ein jazziges Pianosolo von Michael Nass, in das Ulrich Rode und Anne de Wolff (jetzt am Cello) behutsam einsteigen und den Song nahtlos in “Jupp“, von BAPs Durchbruchsalbum “Für Usszeschnigge“ aus dem Jahr 1981, übergehen lassen. Spontaner Applaus halt durch das Opernhaus. Was die Musiker auf der Bühne zelebrieren ist musikalisch auf hohem Niveau. Auch bei “Prädestiniert“ spürt man, bei einem beeindruckenden Zusammenspiel zwischen Anne de Wolff und Ulrich Rode, wie vertraut die Musiker miteinander sind. Das gilt für die beiden im besonderen Maße, denn sie sind auch abseits der Bühne ein Paar.
Im Anschluss an “Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg“, erneut ein live äußerst selten gehörtes Lied, aus den Anfangstagen der Band, kommt plötzlich ein Crewmitglied auf die Bühne gelaufen. In der einen Hand reckt er einen Wimpel vom 1.FC Köln, der bis zum Konzertende unmittelbar neben Wolfgang Niedecken platziert wird, in die Höhe und in der anderen hält er ein handgeschriebenes Plakat: “Endstand 3:1“. Schlusspfiff - der 1.FC Köln ist zurück in der ersten Bundesliga. “Ein in jeder Hinsicht erfolgreiches Konzert!“, wird die Band später auf ihrer Facebookseite schreiben.
Mit einem Kontrabassintro von Werner Kopal wird der Klassiker “Verdamp lang her“ eingeleitet, der tatsächlich auch ohne elektrische Gitarre funktioniert und die Zuschauer von den Sitzen im Opernhaus reißt. Es wird geklatscht, gejubelt und mitgesungen. Auch wenn der Enthusiasmus nicht ganz an den im RheinEnergie-Stadion heranreichen wird, ist die Band hoffentlich doch ein wenig für die entgangenen Freudenausbrüche in der Kölner Arena entschädigt. Zur Zugabe erscheint dann selbst der Marokkaner Rhani Krija mit rot-weißem FC-Schal. Da ist offenkundig erfolgreich missionarische Arbeit geleistet worden.
Der Autor dieser Zeilen weiß, wovon er spricht, ist ihm doch bereits im Kleinkindalter mit Erfolg vom Vater verdeutlicht worden, dass ein anständiger Mensch selbstverständlich dem FC die Daumen drückt. Als Zugabe darf natürlich “Do kanns zaubre“ nicht fehlen. “Sonst würden heute viele traurig nach Hause gehen. Das wollen wir nicht“, lächelt Niedecken. Nach zwei Zugabeblöcken und mehr als drei Stunden reiner Spielzeit, bei der es bemerkenswerterweise zu keinem Zeitpunkt einen Spannungsabfall zu verzeichnen gab, endet das Konzert schließlich mit “Sendeschluss“.
“Wir sind endlich zurück auf der großen Bühne“, sagt Torschütze Patrick Helmes später im TV-Interview. Es ist schön zu sehen, dass auch Wolfgang Niedecken, nach überstandener Krankheit, auf die Bühne zurückgekehrt ist und ein begeistertes Publikum in Kassel zurücklässt. Viele der Anwesenden dürften der Band, die sich Mitte der 1970er Jahre traf, um “einen Kasten Bier leerzuproben“, bereits über Jahrzehnte die Treue gehalten haben. Die Fans können sich wohl auch auf eine Live-CD von der Tour freuen. Niedecken ließ wissen, dass diese im Verlauf der kommenden Konzerte in Köln aufgenommen werden soll.
Bei einigen Songs schwang sicherlich auch ein wenig Melancholie mit, aber das Konzert war glücklicherweise mehr als eine rückwärtsgerichtete Greatest Hits-Show. Die neuen Arrangements verliehen den Songs, denen die großartigen Musiker mit Solos und Duetten neue Klangfarben hinzuzufügen wussten, eine elegantere Aura. BAP klingen filigraner, als früher “¦ oder auch höösch.
Auf das Thema Alter angesprochen, bekannte Niedecken in einem Interview ehrlich: “Wer sagt alt sein ist toll, der lügt. Ich wäre schon lieber jung.“ Wichtig sei es und im Showbusiness gelte dies im besonderen Maße, in Würde zu altern und sich nicht zu verbiegen. Das ist dem Sänger in seiner gesamten Karriere und auch mit der aktuellen Tournee, eindrucksvoll gelungen. Hierin liegt sicherlich der Grund, warum ihn Menschen achten und die Fans in Kassel und in ganz Deutschland lieben.
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