Kultur

Katharina Brehl erhält den Kulturpunkt-Preis 2023

„Rolling on the river“


(Quelle: Isabel Machado Rios)
(Quelle: Isabel Machado Rios)
GDN - Die am Staatstheater Kassel engagierte Schauspielerin Katharina Brehl hat den diesjährigen Kulturpunkt-Preis erhalten. Zu diesem Anlass habe ich mich mit ihr getroffen, um mit ihr über ihren Weg zur Schauspielerei, ihre bisherigen Rollen in Kassel, ihre Träume und vieles mehr zu sprechen.
Vor einigen Jahren verweilte Katharina Brehl mit ihrer Freundin am Kasseler Fuldaufer, wo die beiden jungen Frauen das Wetter, die Natur und den Blick auf die sanften Bewegungen der Wasseroberfläche genossen. „Eines Tages werde ich am Staatstheater Kassel arbeiten und dann werden wir ein Boot besitzen, das hier an der Fulda liegt“, prophezeite die damalige Schauspielschülerin mit einem Augenzwinkern und erträumte sich ihre Zukunft.
Katharina Brehl
Quelle: K.Brehl / M.Graß
Ausgestattet mit zwei selbst gezogenen Tomatenpflanzen, die ich Frau Brehl als kleines Dankeschön für die freigeräumte Zeit mitgebracht habe, treffen wir uns am frühen Nachmittag in einem Kasseler Straßenkaffee. Ich spreche die Schauspielerin zunächst auf aktuelle Projekte an, woraufhin sie mir von der kommenden Produktion „Ministerium der Träume“ am Staatstheater Kassel berichtet.
„Die Proben beginnen morgen. Ich werde Nasrin, eine selbstbewusste Türsteherin mit iranischen Wurzeln, spielen, die versucht, den Tod ihrer Schwester aufzuklären.“ Es entstehe bei ihr im Kopf gegenwärtig ein Bild von der zu verkörpernden Figur und sie versuche Parallelen zu ihrer eigenen Person zu entdecken. „Das Familienbezogene und die Geschwisterliebe sind mir sehr vertraut, da ich auch eine jüngere Schwester habe.“
Mit dieser ist Katharina Brehl in Fulda, wo sie 1991 geboren wurde, aufgewachsen. Ihr Wunsch, Schauspielerin zu werden, sei in der Schulzeit erwachsen. Die Lust am Verkleiden bestand seit jeher, ob als Prinzenmariechen im Karneval oder in der 2. Klasse, als sie einen Bürgermeister gespielt habe und auf den Gedanken gekommen sei, ihr Kopfkissen unter ihr Kostüm zu stopfen, da eine Amtsperson in ihrer Vorstellung einen angemessen ausladenden Bauch aufweisen sollte.
In der Oberstufe habe sie „Darstellendes Spiel“ belegt, die Medea gespielt und reichlich Bestätigung, nicht zuletzt von ihrem Lehrer, erhalten.
Zu jener Zeit habe sie mehrfach Theateraufführungen, die sie oftmals als „spannend und manchmal gar überwältigend“ empfunden habe, besucht. Auch wenn ihre Familie nicht explizit theateraffin gewesen sei, habe sie bezüglich ihres aufkeimenden Berufswunsches keine ausgesprochene Gegenwehr verspürt. „Heute sieht sich meine Mutter jedes Stück mit mir an … und ich kann ihr eindringliches, lautes Lachen selbst auf der Bühne erkennen“, schildert Frau Brehl mit merklichem Vergnügen.
Nach dem Abitur habe sie sich zu den Aufnahmeprüfungen an mehreren der begehrten staatlichen Schauspielschulen beworben, die erhoffte Zulassung jedoch nicht erlangt. An der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch wurde ihr gar „kein Talent“ bescheinigt, was sie zwar enttäuscht, aber nicht vollends frustriert habe. Zumindest habe sie ein Engagement beim Musicalsommer in Fulda erhalten, dort in verschiedenen Musicalproduktionen mitgewirkt und somit erstmals ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Nach den erfolgten Absagen habe sie in Frankfurt a.M. begonnen, Kunstgeschichte und katholische Theologie zu studieren. Auf meine Nachfrage, ob es sich dabei um eine „Verzweiflungstat“ oder um ein ernsthaft betriebenes Studium mit einem konkreten Ziel gehandelt habe, muss Katharina Brehl schmunzeln. „Ich hatte selbst keine Zeit, mich einzuschreiben. Ich war gerade mit einer Musicalproduktion in Wuppertal und habe eine Freundin gebeten, mich einzuschreiben.“ Ihre einzige Vorgabe sei „irgendwas mit Kunst“ gewesen und ihre Freundin habe sich intuitiv für den konkreten Studiengang entschieden. Das Studium habe sie nie gewissenhaft und zielstrebig verfolgt. „Ich wollte meine Mutter beruhigen, aber auch endlich irgendetwas anfangen.“
Schließlich habe sie gar eine Ausbildung im Bereich Musikmanagement bei der Bundeswehr erwogen und sei schon bei dem Aufnahmegespräch in Fritzlar gewesen, als ihre Mutter interveniert habe. Diese hatte davon erfahren, dass am selben Tag die Möglichkeit zu einem Vorsprechen an der Schauspielschule Kassel bestand und habe dies als den stimmigeren und konsequenteren Weg für ihre Tochter erkannt. „Sie hat mich im Grunde dorthin geschickt und ich wurde gleich angenommen“, erinnert sich Katharina Brehl.
Bevor sie die Schauspielschule 2017 erfolgreich abschloss, habe sie zur Finanzierung ihres Studiums im Kasseler Jazz-Club „Theaterstübchen“ gekellnert und „manchmal dort auch auf der Bühne gestanden“, um beispielsweise die „Seeräuber-Jenny“, eine Ballade aus der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht, zum Besten zu geben, erinnert sie sich mit sichtbarer Freude.
In jenem Lied beschreibt eine bemitleidenswerte Dienstmagd ihre verheißungsvolle Zukunft. „Meine Herr'n, heute seh'n sie mich Gläser abwaschen und ich mache das Bett für jeden. […] Aber eines Abends wird Geschrei sein am Hafen. Und man fragt: "Was ist das für ein Geschrei?" […] Und ein Schiff mit acht Segeln… wird liegen am Kai.“
Im Anschluss an ihre Ausbildung gehörte Katharina Brehl zum Ensemble des Jungen Theaters Göttingen, wo sie als erste Rolle das Gretchen in Goethes "Urfaust" spielte. Sie sei sehr glücklich über diese Anstellung gewesen und habe die Zusage bereits vor ihrem Schauspielabschluss erhalten. „Die Zeit war cool, aber auch anstrengend. Ich habe 18 Stücke pro Spielzeit gespielt“, erinnert sie sich. „Wir waren sechs SchauspielerInnen im Ensemble. Das war eine familiäre Atmosphäre… hier in Kassel ist es auch familiär, aber es ist doch eher eine Großfamilie.“
Seit der Spielzeit 2021/22 gehört Frau Brehl zum Ensemble des Staatstheaters Kassel. „Da bin ich echt stolz und froh.“ Mit sichtbarer Freude blickt sie auf ihr damaliges Vorsprechen zurück. „Das war ja gerade die Zeit des Intendantenwechsels… da war alles sehr frisch. Neben dem Gretchen und Hermann Hesses „Wintermärchen“ habe ich auch „Proud Mary“ von Ike und Tina Turner gesungen und alle Anwesenden erfolgreich zum Mitschnipsen aufgefordert“, erinnert sie sich lachend, während ich bemerke, dass es sich erneut um einen Song handelt, in dem ein Fluss und ein Schiff im Mittelpunkt stehen. „And we're rolling, rolling, rolling on the river”
Im Zusammenhang mit der Schauspielschule, aber auch privat habe sie zuvor regelmäßig im Publikum des Staatstheaters gesessen. „Das hat mir immer gefallen, weil es so ästhetisch war… und so beeindruckend, was Theater alles auffahren kann.“ Ausladend gestikulierend verdeutlicht sie mir, dass diese Faszination noch immer in ihr lebt. Spürbar beeindruckt beschreibt Frau Brehl den „riesigen Probenraum, der genauso groß ist wie die Bühne… und dann steht da fast versteckt in einer Ecke ein Flügel, für den alleine man töten könnte… Das ist einfach abgefahren.“
Auch wenn die Gefahr bestünde, dass zu viel Bühnentechnik von der eigentlichen Schauspielerei ablenke, „will ich jetzt auch mal im Fluggeschirr über die Bühne fliegen“, lacht sie und ich kann erkennen, wie die dazugehörigen inneren Bilder in ihrem Kopf entstehen.
Ebenso sei es ihr Traum gewesen, einmal mit der Schauspielerin Eva Maria Keller zusammen auf der Bühne zu stehen „und das hat ja auch geklappt.“
„Grimm. Ein deutsches Märchen“
Quelle: Katrin Ribbe
Katharina Brehl erinnert sich lebhaft an die entsprechende Produktion „Grimm. Ein deutsches Märchen“, eine ihrer bisherigen Lieblingsarbeiten in Kassel. „Der Regisseur Jan-Christoph Gockel war toll. Obwohl wir nicht viel Zeit für die Proben hatten, hat er mit uns gemeinsam geforscht. Wir sind zum Beispiel gleich am ersten Probentag in das Grimmmuseum gegangen. Und trotz des Zeitdrucks war die Zusammenarbeit sehr persönlich. Jeder durfte improvisieren. Es hat einfach unheimlich Spaß gemacht.“
„Die Zauberflöte“
Quelle: Isabel Machado Rios
Ich spreche mit Frau Brehl über die aktuelle, äußerst umstrittene Produktion „Die Zauberflöte“, die von den KritikerInnen überwiegend negativ besprochen wurde und auch beim Publikum gemischte Reaktionen hervorruft. „Bis zur dritten Vorstellung war es in der Tat schwierig“, räumt sie ein. Insbesondere sie als Moderatorin des Abends sei mit Buh- und Zwischenrufen wie „Aufhören!“ oder „Wir wollen Musik hören!“ konfrontiert worden. Das habe bei ihr Verunsicherung und Herzklopfen ausgelöst, auch wenn das Regieteam sie zuvor darauf vorbereitet habe, dass dergleichen eintreten könne.
„Da war ich anfangs schon zerrüttet. Ärgerlich ist es auch, wenn Menschen nicht zwischen mir als Person und meiner Rolle unterscheiden können. Aber mittlerweile sind die Reaktionen im Publikum überwiegend sehr positiv, vermutlich weil die Menschen nun mit anderen Erwartungen in die Vorstellung kommen als anfangs. Der Umgang damit ist eine Art Surfen… und letztlich hat es mich auch gestärkt.“
Auf meine Nachfrage bekennt die Schauspielerin generell vor jeder Vorstellung Lampenfieber zu verspüren, was sich beispielsweise in der Atmung bemerkbar mache sowie in dem beängstigenden Gedanken, den Text vergessen zu haben. „Das ist mir tatsächlich einmal in Göttingen passiert, als ich einen Texthänger hatte und minutenlang den Satz „Bitte warten sie“ wiederholt habe, bis ich den Faden wiedergefunden hatte. So etwas wie eine Soufflage hatten wir dort leider nicht.“ Augenzwinkernd fügt sie hinzu: „Ich habe eine Frau von der Ausländerbehörde gespielt und irgendwie passte der Texthänger vielleicht sogar.“
„Etwas Bessere als den Tod finden wir überall“
Quelle: Katrin Ribbe
Kürzlich wurde Katharina Brehl von der Kasseler Bevölkerung zur Gewinnerin des Kulturpunkt-Preises gewählt, wovon sie telefonisch erfahren habe. Die Freude über die Auszeichnung spiegelt sich noch immer erkennbar in ihren leuchtenden Augen. Die Anerkennung vom Publikum tue selbstverständlich gut. Generell freue sie sich, wenn sie in der Stadt erkannt und freundlich angesprochen werde. „Lustig war es, als neulich in der Sauna jemand zu mir gesagt hat: ,Ich dachte, Katzen mögen keine Hitze…´.“ Der Saunagänger hatte Katharina Brehl offenkundig zuvor in dem Stück „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“ gesehen, in dem sie eine Katze verkörpert.
Auf meine Frage, ob es Figuren gäbe, die sie in der Zukunft gerne spielen möchte, gibt mir Frau Brehl zu verstehen, dass sie derzeit mit ihren Rollen in Kassel sehr zufrieden sei, da diese ausreichend Abwechslung böten und den SchauspielerInnen ein gewisses Mitspracherecht eingeräumt werde. Irgendwann in der Zukunft erneut die bereits als Oberstufenschülerin dargestellte Medea zu spielen, würden sie gleichwohl reizen.
Den Text ihrer kommenden Rolle als selbstbewusste Türsteherin Nasrin lernt die Schauspielerin möglicherweise in der Frühlingssonne an Deck ihres eigenen Bootes am Ufer der Fulda, denn auch diesen Traum hat sich Katharina Brehl mittlerweile erfüllt. Wie einst prophezeit liegt es in Kassel vor Anker und wer weiß, wohin die Wellen es noch treiben werden. „We're rolling, rolling, rolling on the river.”
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