Kultur

„Gelbes Gold“ (Fabienne Dür) am Staatstheater Kassel

„Das wird nicht endlos knuspriger“


(Quelle: Isabel Machado Rios)
(Quelle: Isabel Machado Rios)
GDN - Am vergangenen Freitag feierte „Gelbes Gold“ (Uraufführung) Premiere im Kasseler TiF (Theater im Fridericianum). Regisseur Tobias Schilling gelingt ein kurzweiliger Abend mit einer von Melancholie durchzogenen Geschichte über gescheiterte Lebensplanungen und dem (fehlenden) Mut zu Veränderungen.
Bei meinem Abitreffen im vergangenen Jahr, das in einer ostwestfälischen Kleinstadt, in der uns Anwesenden 30 Jahre zuvor der vermeintliche Karrieresprung geglückt war, stattfand, drehten sich die ersten zaghaften Gespräche nicht vorrangig um die von mir erwarteten Themen Beruf und Familie, sondern die zentrale Frage schien: „Wo lebst Du heute?“ Die einen hatte ihr Lebensweg ins europäische Ausland geführt, andere wohnten mittlerweile in einer deutschen Großstadt oder an der See.
Jemand war nach Jahren in Indonesien in die heimische Kleinstadt zurückgekehrt, während ein anderer aus nachvollziehbaren Gründen nicht anwesend sein konnte, da eine Flugreise aus seiner neuen Heimat Australien unangemessen aufwendig gewesen wäre und schließlich blieben diejenigen, die ihren Geburtsort nie verlassen hatten. Diesen Personenkreis schien eine Aura aus Zaghaftigkeit und Selbstzweifel zu umgeben. Ihre Biografie schien ihnen bewusst oder unbewusst und aus welchen Gründen auch immer unangenehm zu sein.
Ana, die vor Jahren zum Studium in die Großstadt gezogen ist, steht einsam rauchend am Bahnsteig, lässt ihren Blick über die Bahngleise, die Felder und die Plattenbausiedlung, die einst ihr zu Hause war und nun vor dem Abriss steht, schweifen und lauscht in die trostlose Stille. Möglicherweise wartet sie bereits seit längerer Zeit vergeblich darauf, von jemandem abgeholt zu werden.
In jedem Fall verweilt sie dort, seit die ZuschauerInnen das zur Premiere ausverkaufte TiF (Theater im Fridericianum) betreten haben, wo sie auf eine typische Pommesbude blicken, der die sie umgebenden Baustellen bereits bedrohlich nahegekommen sind (Bühnenbild: Sibylle Pfeiffer) und einen Raum betreten, der vom Duft nach Pommes frites, mit seiner eigenen Mischung aus Appetitanreiz, Penetranz und Vertrautheit, erfüllt ist.
Die Pommesbude als Handlungsort in einem Umfeld, in dem gleichermaßen Stillstand und Veränderung drohen, ist eine reizvolle Wahl. Wohl niemandem im Publikum ist dieser Ort nicht vertraut. Hier treffen sich in einem überschaubaren Zeitrahmen unterschiedlichste Menschen verschiedensten Alters und aus vielfältigen Bereichen der Gesellschaft, um auf die Schnelle ihren Hunger zu stillen, ohne ein längeres Verweilen anzustreben. Doch mit Ausnahme von Heimkehrerin Ana verweilen die kauzigen und liebenswert trotzig wirkenden Figuren des Stückes bereits lange, vielleicht zu lange an diesem Ort.
Inmitten besagter Plattenbausiedlung betreibt Anas Vater Fritz (Aljoscha Langel) mit Leidenschaft und rührender Hingabe jene leidlich rentable Pommesbude. In seinem Leben dreht sich alles um die Suche nach dem perfekten Pommes-Rezept, die ihn mitunter wie einen von seiner Umwelt unverstandenen Künstler erscheinen lässt. Er hat sein Leben in der Kleinstadt verbracht, aus der sowohl seine Tochter als auch deren Mutter geflohen sind, hat im Gegensatz zu seiner Tochter keine Karriere angestrebt, sondern sich ganz der Zubereitung von Pommes frites verschrieben.
„Der Mensch braucht einen Rahmen", hat er erkannt und im Gegensatz zu den anderen Figuren hat er diesen noch und hält sich an ihm fest. Dass seine Pommesbude und somit sein Lebensunterhalt wie sein Lebenssinn schon bald von einem geplanten Outletcenter zerstört werden, negiert er. Er sieht für sich keine Möglichkeit, Einfluss auf diese Entwicklungen, die sein Dasein unmittelbar betreffen werden, zu nehmen.
Ana (E. Reichenbach) & Vater Fritz (A. Langel)
Quelle: Isabel Machado Rios
Seine Tochter Ana (Emilia Reichenbach) lebt in zwei vermeintlich gegensätzlichen Welten, die wie der genauestens von der Mayonnaise getrennte Ketchup auf ihren Pommes keine Verbindung zu haben scheinen. Sie kommuniziert in schlagwortartigen Codes über alte Zeiten mit ihrem Umfeld, fährt bald mit einem Wimpel am Fahrrad durch die Felder, bleibt aber ein Fremdkörper in der einst vertrauten Umgebung. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter ist von Unkenntnis, Vorurteilen und Unverständnis geprägt. Doch verbindet sie, dass - und dies gilt ebenso für die weiteren Figuren – sie mit ihren Plänen gescheitert sind und nun in ihrem Leben festhängen, während „draußen vor dem Fenster die Welt vorbeizieht“.
Mimi (Christina Weiser), die Fritz als dessen Partnerin unterstützt und gerne mit reizend verschobenen Redewendungen ihre Sicht der Dinge kundtut, würde allzu gerne endlich ihre eigenen Träume verfolgen, doch Zweifel und Ängste bremsen sie, weshalb sie seit nunmehr zehn Jahren „übergangsweise" in der Pommesbude aushilft.
Ähnliches gilt für Anas alte Freundin Juli (Tamara Romera Ginés), die die heimatliche Provinz nie verlassen hat, weil sie den Absprung nicht schafft, sich zu keinem Entschluss durchringen kann und somit „hier festklebt wie Kaugummi".
Mimi (Christina Weiser) & Fritz (Aljoscha Langel)
Quelle: Isabel Machado Rios
Ana (E. Reichenbach) & Juli (T. Romera Ginés)
Quelle: Isabel Machado Rios
Die von einem hervorragenden Ensemble verkörperten krisengeschüttelten Figuren, deren Beziehungen gleichermaßen von wachsender Entfremdung und zärtlicher Zuneigung geprägt sind, zählen nicht zu den gesellschaftlichen Gewinnern. Sie stehen nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit wie „in Not geratene Igel“, weshalb man ihnen allen das Glück gönnt und ihnen beständig zurufen möchte: „Trau Dich!“ Die Zubereitung vom Pommes frites mag dabei als Sinnbild gelten: „Ewig drin lassen ist auch keine Lösung… das wird nicht endlos knuspriger.“

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