Kultur
Staatstheater Kassel stellt Spielplan 2021/2022 vor
Diskurse und internationale Vielfalt
(Quelle: Marina Sturm)
Musiktheater - Ort des gesellschaftlichen Diskurses
Florian Lutz eröffnet die Spielzeit am 24. September mit seiner Inszenierung von Alban Bergs Oper “Wozzeck“. Die Premiere findet in der von Hausszenograf Sebastian Hannak für Kassel geschaffenen 360-Grad-Rauminstallation PANDAEMONIUM im Opernhaus statt, die musikalische Leitung liegt bei Generalmusikdirektor Francesco Angelico. Den Abschluss der Saison bildet - im Kontext der documenta 15 - die Uraufführung “Temple of Alternative Histories“ (UA) von Anna Rún Tryggvadóttir und Thorleifur Örn Arnarsson, ein großes, alle Sparten einbeziehendes Projekt, das am 9. Juli 2022 im und um das Opernhaus Premiere feiern wird.
Anknüpfend an die große Tradition des Musiktheaters im 19. Jahrhundert, verstehen Florian Lutz und sein Team die Oper als Ort des gesellschaftlichen Diskurses, in dem staatspolitische Fragen erörtert und zugleich unterhaltsam auf die Bühne gebracht oder neu befragt werden. So wird der international gefeierte Regisseur Ersan Mondtag das Opus “Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber als zeitgenössisches Drama über Angst, Traum und das Unheimliche inszenieren. Die Grand opéra “La muette de Portici“ (“Die Stumme von Portici“) von Daniel Auber gilt als Soundtrack der europäischen Freiheitsbewegung des 19. Jahrhunderts und soll die belgische Revolution 1830 ausgelöst haben.
Mit “Blitze sprechen deutsch“ (Arbeitstitel) des Komponisten Felix Leuschner nach einem Text von Dietmar Dath beginnt eine Reihe von Opern-Uraufführungen, die in den kommenden Spielzeiten fortgesetzt werden soll, und die GMD Francesco Angelico zur Chefsache gemacht hat: Er übernimmt die musikalische Leitung des zwischen Oper, Thriller und politischem Fall changierenden Werks. Regie führt Florentine Klepper, Uraufführung ist am 4. Juni 2022 im Opernhaus.
Daneben stehen auf dem Musiktheater-Spielplan beliebte Werke wie “Tosca“ (Regie: Sláva Daubnerová) oder auch “Die Dreigroschenoper“ in einer Inszenierung des letzten FAUST-Preisträgers für Musiktheaterregie Martin G. Berger. Dazu kommt das partizipative Musiktheaterprojekt mit Kasseler Sänger:innen “Weihnachtsoratorium“ mit Musik von Johann Sebastian Bach (Musikalische Leitung: Kiril Stankow, Regie: Jochen Biganzoli, Premiere 5. Dezember 2021, Opernhaus, PANDAEMONIUM).
Schauspiel - Kooperationen und politische Diskurse
Der Spielplan im Schauspiel unter der Leitung von Schauspieldirektorin Patricia Nickel-Dönicke ist geprägt von programmatischen Linien, die sich der relevanten, gesellschaftlichen Diskursen annehmen. Dies geschieht mittels alter Stoffe wie auch Uraufführung, Roman- und Filmadaptionen sowie etlicher Kooperationen und partizipativer Projekte. Zur Eröffnung der Spielzeit kommen am 25. September zwei große Stoffe auf die Bühne: Im Schauspielhaus wird “Die gute Erde“ nach dem Roman von Pearl S. Buck uraufgeführt. Regisseurin Mina Salehpour hinterfragt mit dem Familienepos der ersten weiblichen Literaturnobelpreisträgerin die unmittelbaren Zusammenhänge von Mensch und Natur im vorrevolutionären China.
Beispielhaft für die neuen Formen und partizipativen Arbeitsweisen ist die Eröffnung im TiF, der Studiobühne im Fridericianum, mit “FAUST Gretchen“, einer theatralen Videoinstallation nach Johann Wolfgang von Goethe in der Regie von Bert Zander, der zusammen mit dem Ensemble die Faustgeschichte aus der Sicht von Gretchen neu befragen wird - und dafür Bürger:innen aus Kassel partizipativ-digital mit einbezieht (Premiere ebenfalls am 25. September).
Die politische Auseinandersetzung spiegelt sich in mehreren Inszenierungen wider: Den Anfang macht die Komödie “Sein oder Nichtsein“ von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch, gefolgt von der Uraufführung “Der Funke Leben“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque, der er ein klares Zeichen gegen jegliche Form von Revanchismus setzt sowie “mädchentreu“, eine theatrale Recherche zu Frauenbildern und Erziehung der Neuen Rechten von Mirja Biel. “mädchentreu“ kommt am 6. November im Rahmen des bundesweiten, dezentralen Theaterprojektes zum NSU-Komplex “Kein Schlussstrich!“ zur Uraufführung, das im Herbst 2021 in 14 Städten gleichzeitig stattfinden wird und u.a. die Verantwortung von Zivilgesellschaft und Institutionen thematisiert.
Einen skeptischen und saukomischen Blick auf die Kunstszene wirft die Uraufführung des Erfolgsromans von "Ein Mann der Kunst“ von Kristof Magnusson (Regie: Dariusch Yazdkhasti, Premiere 8. April 2022) und als Klassiker - der das Verhältnis von Mensch und Umwelt, den drohenden Verlust und die Frage, ob noch Zeit zum Handeln bleibt ins Zentrum stellt - kommt Jan Friedrichs Inszenierung von Anton Tschechows “Der Kirschgarten“ ins Schauspielhaus (Premiere 7. Mai 2022).
Ein zentraler Aspekt des Schauspiel-Spielplans ist die Einbindung in Festivalkontexte und die enge Zusammenarbeit mit lokalen, nationalen und internationalen Partnern und Institutionen, besonders aber mit den Bürger:innen der Stadt Kassel. So wird es neben formoffenen Theaterabenden Festivals und Reihen geben, die zum Austausch einladen, etwa “fast“™n“™dramadan“ (26. April bis 2. Mai 2022), bei dem während des Fastenmonats Ramadan religiöser Brauch auf Lesungen, Performances und Vorträge trifft. Die Uraufführung von Michel Decars “Tausend deutsche Diskotheken“ im Serienformat und in Zusammenarbeit mit dem Kulturressort der Stadt Kassel wird dem Clubsterben begegnen.
Tanz - Internationale Vielfalt & Bandbreite choreografischer Handschriften
Mit einem kuratorischen Modell zeigt die Sparte Tanz unter dem neuen Tanzdirektor Thorsten Teubl die maximale Bandbreite zeitgenössischer choreografischer Handschriften, Stilistiken und Ästhetiken mit einem festen Ensemble, in dem über zehn Nationen vertreten sind. Zum Auftakt am 26. September steht mit SCHWANENSEE | ZWANENMEER | ein Tanzdoppelabend auf dem Programm. Das Performance-Kollektiv United Cowboys und die junge Israelin Roni Chadash setzen sich choreografisch lustvoll mit dem Prinzip Schwanensee auseinander.
Noa Wertheim, Künstlerische Leiterin der Vertigo Dance Company, erarbeitet mit der Uraufführung JANUS zum ersten Mal mit einer anderen Company ein neues Stück, das am 25. Februar 2022 Premiere feiern wird. Für bildgewaltigen und poetischen Zeitgenössischen Tanz seht der polnische Shootingstar Maciej KuźmiÅ„ski, dessen Choreografie “i spada lekko ciaÅ‚o moje | my body falls lighter | mein körper schwerelos“ mit Musik von Gustav Mahler, Arvo Pärt u.a. am Welttanztag, dem 29. April 2022, zur Uraufführung kommt. Der Abend findet im Opernhaus mit dem Staatsorchester Kassel statt, die musikalische Leitung hat Mario Hartmuth.
Darüber hinaus startet eine Tanzreihe im Tif - Theater im Fridericianum, die in der ersten Spielzeit unter dem Motto SEASON 1: LET“™S TALK ABOUT SEX mit Uraufführungen dreier sozialkritischer Choreografinnen den menschlichen Körper in seiner sexuellen, geschlechtlichen, sozialen und kulturellen Identität in den Mittelpunkt stellt. Am 3. Dezember kommen “Stilte | Silence | Stille“ von Kristel van Issum (Niederlande) und “Sadim | “ von Sahar Damoni (Palästina) als Doppelpremiere zur Uraufführung, und am 18. Juni 2022 folgt “1 9 7 6 2“ von Candela Capitán (Spanien).
Junges Staatstheater: Öffnung, Teilhabe und Austausch
Unter der Leitung von Barbara Frazier, die auch selbst Regie führen wird, startet das JUST+ mit einem neunköpfigen Team in die neue Spielzeit und sendet schon damit ein starkes Signal aus: Für jede Sparte von Tanz bis Konzert ist künftig eine spezialisierte Pädagogin tätig. Besonderes Anliegen des Teams sind die Öffnung in die Stadt, der Abbau von Barrieren und der Austausch mit den Menschen in der Stadt ebenso wie im ländlichen Raum.
Zum breit aufgestellten Spielplan gehören Stücke für alle von 2 bis 104 Jahren ebenso wie Kinderkonzerte und Schulhofperformances. Am Beginn steht mit “Oh yeah, Baby!“ ein (mobiles) Discostück von Leandro Kees für alle ab zwei Jahren, bei dem die kleinen Menschen vor der Bühne den großen Menschen auf der Bühne begegnen. Premiere ist am 26. September im TiF Foyer. Ebenfalls zur Eröffnung feiert am 26. September “How to Gatsby“ frei nach dem Roman “Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald Premiere. Die Produktion richtet sich an alle ab 14 Jahren und entfaltet ein buntes, groteskes Spiel um Langeweile und Selbstoptimierung, um Privilegien und soziales Urteil, um Performance und Rausch (Regie: Benjamin Hoesch und Barbara Frazier).
Als großes Familienstück zur Weihnachtszeit kommt “In einem tiefen, dunklen Wald“ nach Paul Maar für alle ab 6 Jahren auf die Opernhausbühne. In Cordula Jungs Inszenierung machen Sprachwitz, Situationskomik und Verkehrung der Rollenbilder aus Paul Maars Erzählung einen großen Theaterspaß für Jung und Alt (Premiere 4. November). Um Normen, Weltanschauungen und ihre Hinterfragung geht es in “Fliegen lernen“, einem Jugendstück+ nach “Das hässliche Entlein“ von Hans Christian Andersen für alle ab 12 Jahren, (Regie: Regie: Heinrich Horwitz und Barbara Frazier, Premiere: 19. Feb 2022).
Konzerte - Zeichen setzen nach der Pandemie
Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Francesco Angelico setzt der Konzertbereich starke Zeichen zum Neustart nach der Pandemie: Statt der bisher acht wird das Staatsorchester Kassel in der kommenden Saison neun Sinfoniekonzerte spielen. Gleich im Eröffnungskonzert am 11. Oktober in der Stadthalle übernimmt den Solopart der Violine der 1. Konzertmeister des Staatsorchesters Razvan Hamza in Karol Szymanowskis Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. 35. Außerdem auf dem Programm des Eröffnungskonzerts, das von GMD Francesco Angelico geleitet wird: Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 1 D-Dur.
Zudem startet im Rahmen der Sinfoniekonzerte eine auf zwei Spielzeiten angelegte Reihe, die sich der Nähe von Johannes Brahms und Robert Schumann widmet und in der sämtliche Solokonzerte Schumanns und alle Sinfonien von Brahms zur Aufführung kommen. Die Reihe der Ballhauskonzerte wird fortgesetzt - und zwar mit dem Mozart-Programm, das bereits zweimal pandemiebedingt verschoben werden musste. Fortgesetzt wird auch die beliebte Kammerkonzertreihe, die von den Orchestermitgliedern selbst gestaltet wird.
Darüber hinaus gibt es wieder diverse Sonderkonzerte. Ein besonderer Höhepunkt wird sicherlich das Neujahrskonzert mit Beethovens Neunter, das zugleich das Jubiläumskonzert für 25 Jahre Bürger pro A ist - und ebenfalls pandemiebedingt bereits einmal verschoben werden musste. Jetzt findet das Konzert unter der Leitung von Francesco Angelico am 1. und 2. Januar in der Raumbühne PANDAEMONIUM im Opernhaus statt.
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