Kultur
“z.B. Philip Seymour Hoffman“ am Staatstheater Kassel
Auf verschachtelten Pfaden
(Quelle: M.Sturm)
“Friday night and the lights are low / Looking out for a place to go“ (ABBA, Dancing Queen)
Aufgrund der herrschenden Coronaeinschränkungen haben sich lediglich knapp 30 Menschen am vergangenen Freitagabend für das tif (Theater im Fridericianum) als “place to go“ entschieden. Dort fanden sie eine in gedämpftes blaues Licht gehüllte Bühne vor, die das Publikum nach Japan entführt.
Ein asiatischer Pavillon bildet das Zentrum der Bühne. Innerhalb des Gebäudes fällt der Blick auf ein Modell des Bühnenbildes, womit das Verwirrspiel, in dem sich Ebenen überlagern und verschieben, beginnt. In den kommenden zwei Stunden verschwimmen vor den Augen der Zuschauer Realität, Fantasie, Spiel, Theater, Film, Zukunft und Gegenwart zu einer neuen, andersartigen und magischen Wirklichkeit.
Vor zwei Jahren verkündeten die vier Mitglieder der schwedischen Popgruppe ABBA, neue Songs bei einer TV-Show von Hologrammen der Künstler mit deren Aussehen aus den 1970er-Jahren aufführen zu wollen. Anschließend würden jene dreidimensionalen Darstellungen eine Welttournee, bei der Agnetha, Björn, Benny und Frida als ihre jüngeren Ichs zu sehen sein werden, absolvieren.
Der Musiker Justin Timberlake plante, vier Jahre nachdem er ein Duett mit dem zu jenem Zeitpunkt bereits verstorbenen Michael Jackson produziert hatte, für seinen Super-Bowl-Auftritt in Minneapolis, der Heimatstadt des verstorbenen Musikers Prince, diesen per Hologramm wiederauferstehen zu lassen, obwohl der 2016 verstorbene Künstler sich mehrfach deutlich gegen eine derartige Erinnerungskultur ausgesprochen hatte.
Und der titelgebende Schauspieler Philip Seymour Hoffman? Dieser verstarb überraschend kurz vor dem Ende der Dreharbeiten zum 4. Teil der Verfilmung von “Die Tribute von Panem“ und ließ die verantwortlichen Produzenten mit der Frage zurück, wie die letzten noch fehlenden Szenen realisiert werden könnten. Bei den Überlegungen kam unter anderem die Idee auf, den Oscarpreisträger per Computersimulation zum Leben zu erwecken. The show must go on. An dieser Stelle knüpft der argentinische Autor Rafael Spregelburd mit seinem Stück “z.B. Philip Seymour Hoffman“ an.
Daneben stehen weitere Handlungsstränge im Zentrum, die mittels grotesker, amüsanter oder philosophischer Szenen dargestellt werden.
Es wird von einer japanischen Jugendlichen und ihrer Obsession für den Schauspieler Kiyoshi Kou, Hauptdarsteller eines legendären japanischen Kinofilms, erzählt.
Für die Neuverfilmung dieses Filmklassikers wird der brandenburgischen Schauspieler Stephan Schäfer gecastet, der fortwährend mit Philip Seymour Hoffman verwechselt und somit in eine Identitätskrise gestürzt wird.
Es wird von einer japanischen Jugendlichen und ihrer Obsession für den Schauspieler Kiyoshi Kou, Hauptdarsteller eines legendären japanischen Kinofilms, erzählt.
Für die Neuverfilmung dieses Filmklassikers wird der brandenburgischen Schauspieler Stephan Schäfer gecastet, der fortwährend mit Philip Seymour Hoffman verwechselt und somit in eine Identitätskrise gestürzt wird.
Regisseur Wilke Weermann, der in vergangenen Spielzeiten in Kassel die Stückentwicklungen “I am Providence“ und “Odem“ inszeniert hat, setzt sich diesmal mit einer bestehenden Textvorlage auseinander. Seine fantasievolle collagenartige Inszenierung ist geprägt von bemerkenswerter Genauigkeit, die allen Beteiligten auf und hinter der Bühne zweifellos ein hohes Maß an Konzentration und Disziplin abverlangt, sowie enormen - bisweilen ausuferndem - Ideenreichtum. Es ist nicht immer leicht, den verschachtelten Pfaden Spregelburds und seinen Beschreibungen der brüchigen Wirklichkeit zu folgen.
Neben anregenden Gedanken zum Thema Identität bietet die Inszenierung dank des ansprechenden Bühnenbildes, der wundervollen Kostüme (beides: Paula Wellmann) und des wirkungsvollen Lichtes (Dirk Thorbrügge) beständig starke visuelle Eindrücke.
Der Einsatz von Videoeinspielungen, die im Theater, das aufgrund des mit realen Menschen geteilten Liveerlebnisses besucht wird, immer problematisch sind, ergeben innerhalb der Inszenierung Sinn, da das Stück um ebenjene Fragen nach Realität und Wahrhaftigkeit kreist.
Während sich die Darsteller*innen auf der Bühne ungelenk bewegen, groteske Haltungen einnehmen, in ihren klobigen Kostümen und grellen Pseudofrisuren einem Videospiel entsprungen wirken, verwandelt sie das Medium Film in reale Menschen.
Der Einsatz von Videoeinspielungen, die im Theater, das aufgrund des mit realen Menschen geteilten Liveerlebnisses besucht wird, immer problematisch sind, ergeben innerhalb der Inszenierung Sinn, da das Stück um ebenjene Fragen nach Realität und Wahrhaftigkeit kreist.
Während sich die Darsteller*innen auf der Bühne ungelenk bewegen, groteske Haltungen einnehmen, in ihren klobigen Kostümen und grellen Pseudofrisuren einem Videospiel entsprungen wirken, verwandelt sie das Medium Film in reale Menschen.
Die entsprechenden Auftritte von Philip Seymour Hoffman in “Die Tribute von Panem“ wurden letztlich nicht mit digitalen Projektionen nachgestellt, sondern stattdessen die entsprechenden Szenen umgeschrieben. “In den restlichen Szenen ließen wir ihn einfach nicht auftauchen", erläutert Regisseur Francis Lawrence. Als Begründung gab er an, ein Hologramm könne dem schauspielerischen Talent von Philip Seymour Hoffman nie gerecht werden. Die Leere, die Hoffman unweigerlich im Film hinterlässt, wirkt somit wie ein letzter Gruß an den verstorbenen Charakterdarsteller.
Hologramm-Auftritte seien Teufelszeug, befand Prince zu Lebzeiten, weshalb Justin Timberlake aus Respekt im letzten Moment auf die virtuelle Wiederauferstehung des Multiinstrumentalisten aus Minneapolis verzichtete. Stattdessen wurde der verstorbene Musiker auf einer riesigen Leinwand projiziert und sang ungefragt mit Timberlake im Duett “I Would Die 4 U“.
“¦ und ABBA? Björn Ulvaeus, Songwriter der Band, betonte in Hinblick auf das kommende Projekt: “Das ist wirklich, wirklich aufregend“ und fügte hinzu, die geplante Welttournee würde aus “Live-Musikern und riesigen Avataren“ bestehen.
Der römische Kaiser und Philosoph Marcus Aurelius mag einem in den Sinn kommen: “Alles, was wir hören, ist eine Meinung, keine Tatsache. Alles, was wir sehen, ist eine Perspektive, keine Wahrheit.“
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