Kultur

Vor 85 Jahren gestorben: Max Liebermann

Ick kann jar nich soville fressen“¦


(Quelle: Mario Graß)
Max Liebermann, 1904
(Quelle: Jacob Hilsdorf , Gemeinfrei)
GDN - Vor 85 Jahren ist der deutsche Impressionist Max Liebermann (1847-1935) gestorben. Als Präsident der Berliner Secession symbolisiert er den Übergang von der Kunst des 19. Jahrhunderts hin zur Moderne. Seine letzten Lebensjahre waren geprägt vom Einfluss der Nationalsozialisten auf die Kunstwelt.
Spandauer Straße 30, Berlin
Quelle: Mario Graß
“Früh um acht Uhr erfolgte die glückliche Entbindung meiner lieben Frau Philippine von einem gesunden Knaben“, verkündete der stolze Industrielle Louis Liebermann am 21. Juli 1847 in der von ihm aufgegebenen Geburtsanzeige. Als drittes Kind der wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie hatte Max am Tag zuvor in der Spandauer Straße 30 in Berlin das Licht der Welt erblickt.
Max Liebermann Haus am Pariser Platz
Quelle: Mario Graß
Einige Jahre später erwarb Louis Liebermann ein repräsentatives, unmittelbar an das Brandenburger Tor angrenzendes Gebäude am Pariser Platz, in dem Max Liebermann den überwiegenden Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht, bis er als 21-Jähriger sein Elternhaus verließ, um in Weimar Kunst zu studieren. Die folgenden Wanderjahre - er lebte in Weimar, Paris und München und verbrachte viel Zeit in dem von ihm geliebten Nachbarland Holland - symbolisieren seinen mühsamen künstlerischer Weg.
In Amsterdam und Scheveningen wurden entscheidende Momente seiner künstlerischen Selbstfindung ausgelöst. Das Licht, die in sich ruhenden Menschen und die spröde, idyllische Natur begeisterten und inspirierten Max Liebermann. Er fand seinen eigenen unsentimental-naturalistischen Stil, mit dem er oftmals arbeitende, in ihrer Existenz verharrende Menschen, die ohne idealisierte Romantik, aber voller natürlicher Würde, ihrer Tätigkeit, die sichtbare Spuren hinterlassen hat, nachgehen, darstellte.
Auch wenn Max Liebermann mit seiner Malerei international Aufmerksamkeit erregen konnte, blieb der Erfolg in Deutschland, wo er als “Maler des Hässlichen“ diffamiert wurde, aus. 1878 begann Liebermann mit der Arbeit an “Der zwölfjährige Jesus im Tempel“, das auf Skizzen, die er in den Synagogen in Amsterdam und in Venedig angefertigt hatte, basierte.
Das fertige Werk löste einen der größten Skandale in der deutschen Kunstwelt des 19. Jahrhunderts aus. Das Jesuskind im Zentrum des Bildes strahlte zwar einen religiösen Anspruch aus, war jedoch nicht im vertrauten blütenweißen Gewand, sondern ärmlich, barfuß und in einem kurzen Umhang gehüllt dargestellt. Zudem erinnerten die rötlichen Haare, an denen der Ansatz von Schläfenlocken zu erkennen waren, an die jüdische Herkunft Jesu.
Gegen das Bild brandete im gesamten Reich eine Welle der Empörung auf, denn anders als in den süßlichen Heiligenbildern jener Zeit hatte Liebermann auf beschönigende Kostüme oder Dekorationen verzichtet und stattdessen im ungeschminkten Realismus eine Szene geboten, die kein religiöses Wunder, sondern eine alltägliche Begebenheit einzufangen schien. Bedauerlicherweise übermalte Liebermann als Reaktion auf die stürmische Kritik das ursprüngliche Bild, sodass heute in der Hamburger Kunsthalle ein weitaus harmloseres Werk zu betrachten ist.

Im Sommer 1880 reiste Liebermann nach Amsterdam, wo er einen Blick in den Garten eines katholischen Altenheims warf und dort schwarz gekleidete ältere Herren in einem Laubengarten im Sonnenlicht sitzen sah. Er selbst erinnerte sich an den Moment: “Es war, als ob jemand auf ebenem Wege vor sich hingeht und plötzlich auf eine Spiralfeder tritt, die ihn emporschnellt.“
Er begann, das Motiv zu gestalten, entwickelte in zahllosen Studien eine für ihn gänzlich neue Malweise, mit dem klaren Ziel ein “Sonnenbild“ zu fertigen und verwendete dabei erstmals den Effekt des durch ein Laubdach gefilterten Lichtes, die später sogenannten “Liebermann“™schen Sonnenflecken“, um eine stimmungsvolle Atmosphäre zu erzeugen.
Seine neue Malweise wurde in Paris, damals das Epizentrum der internationalen Kunstwelt, mit Begeisterung aufgenommen. Obwohl ihm sicherlich bewusst war, dort auf unvermeidbare Konflikte zu stoßen, entschloss Liebermann sich, in seine künstlerisch konservative Heimatstadt Berlin zurückzukehren, wo er Martha Marckwald heiratete und 1884 am nördlichen Rand des Tiergartens mit ihr die erste gemeinsame Wohnung bezog. Nach jahrelangen Wanderjahren schien Max Liebermann sein zu Hause gefunden zu haben. Ein Jahr später wurde seine einzige Tochter, die den Namen Marianne Henriette Käthe erhielt, jedoch stets nur Käthe genannt wurde, geboren. Er ging gänzlich in der Vaterrolle auf und ließ den Pinsel in jener Zeit ungewohnt häufig ruhen.
Als sich der Gesundheitszustand seiner Mutter Philippine verschlechterte, bezog Max Liebermann mit seiner Familie das elterliche Palais am Pariser Platz. Mit bemerkenswerter Selbstdisziplin ging er einem geregelten Tagesablauf nach. Um Punkt 10 Uhr verließ er das Haus, zog sich zum Arbeiten in sein Atelier in der Königin-Augusta-Straße 19 zurück und kehrte um 18 Uhr heim. “Ich bin in meinen Lebensgewohnheiten der vollkommene Bourgeois; ich esse, trinke, schlafe, gehe spazieren und arbeite mit der Regelmäßigkeit einer Turmuhr“, beschrieb er seinen Lebensstil. “Ich wohne in dem Haus meiner Eltern, wo ich meine Kindheit verbracht habe, und es würde mir schwer werden, wenn ich woanders wohnen sollte.“
Derweil eskalierte der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen dem regierenden Kaiser Wilhelm II., der Liebermann als “unverbesserlichen Anarchisten“ bezeichnete und dem Künstler, der wiederum den Kaiser prophetisch als “Wilhelm den Letzten“ betitelte.
Nachdem Liebermann das stattliche Wohnhaus seiner Eltern geerbt hatte, beauftragte der neue Hausherr einen Architekten, um Pläne für den Bau eines Ateliers auf dem Dach des Gebäudes zu entwickeln. Doch die zuständigen Behörden lehnten das Ansinnen mit der Begründung, durch einen solchen Umbau würde die architektonische Gesamterscheinung um das Brandenburger Tor gestört, ab.
Kaiser Wilhelm II. nahm die Entwurfszeichnungen persönlich in Augenschein und kommentierte diese mit der Bemerkung “scheußlich“. Doch getragen von einer Mischung aus Sturheit, Großbürger-Anspruch und Freiheitsdrang gab Liebermann nicht auf und konnte, nach sich über mehrere Jahre hinziehenden Prozessen und einem zermürbenden Kleinkrieg, im April 1898 mit dem Bau des Ateliers beginnen. In einem Brief verkündete er stolz: “Die Zinnen meines Ateliers ragen in den Himmel als Wahrzeichen freien Bürgermutes gegen Polizeiwillkür.“ Jahrzehnte hindurch deuteten die Berliner ehrfürchtig hinauf zum gläsernen Aufbau auf dem flachen Dach am Pariser Platz und raunten: “Da oben arbeitet Max Liebermann.“
Anlässlich Liebermanns 50. Geburtstag widmete die Akademie der Künste dem Jubilar eine umfangreiche Ausstellung. Zudem wurde ihm die Großen Goldenen Medaille sowie der Professorentitel verliehen, womit sein Ansehen seinen bisherigen Höhepunkt erreicht hatte.
Doch auch wenn der Künstler in seiner Heimatstadt mittlerweile bemerkenswertes Ansehen genoss, sollte der schwelende Streit um die Ausrichtung und Akzeptanz moderner Kunst einen Höhepunkt erreichen, als 1898 sechzig Gründungsmitglieder, in unmissverständlicher Abgrenzung zu dem alteingesessenen Verein Berliner Künstler, eine Gemeinschaft unabhängiger Künstler, die Berliner Secession, ins Leben riefen und Max Liebermann zu ihrem ersten Präsidenten wählten.
Der Vorgarten der Wannsee-Villa
Quelle: Mario Graß
1909 erwarb Max Liebermann ein Grundstück an Ufer des Wannsees, auf dem er eine Villa errichten sowie einen Garten nach seinen Vorstellungen gestalten ließ. Somit entstand ein beschaulicher Rückzugsort als Alternative zum Palais am geschäftigen Pariser Platz. Liebermann zog sich mehr und mehr in sein “Schloss am See“, wie er es nannte und in dem er sich spürbar wohlfühlte, zurück. Einen großen privaten Glücksmoment erlebte er, als seine mittlerweile 30-jährige Tochter Käthe Mutter einer Tochter wurde. Wie Jahrzehnte zuvor in der Vaterrolle ging Liebermann nun in der Rolle des Großvaters auf und verwöhnte seine Enkeltochter Maria nach besten Kräften.
Quelle: Mario Graß
Quelle: Mario Graß
Quelle: Mario Graß
Er selbst musste indessen zunehmend persönliche Diffamierungen sowie antisemitische Kommentare in den Zeitungen erdulden und erhielt sogar Morddrohungen, die er nonchalant im Papierkorb verschwinden ließ. Wie er wiederholt betonte, wollte er ausschließlich als Künstler wahrgenommen werden, dessen Religionszugehörigkeit nichts mit seinem Schaffen, und ebenso wenig mit seiner Nationalität, zu tun habe. Es schien, als zöge sich Liebermann mit der zunehmenden Verfinsterung seiner Umwelt mehr und mehr ins Private und in seinen Wannseegarten zurück.
1927 trat Liebermann wieder in das Licht der Öffentlichkeit, als seine Heimatstadt sowie die internationale Kunstwelt seinen 80. Geburtstag feierten und es sich Gäste wie Albert Einstein, Heinrich und Thomas Mann und Hugo von Hofmannsthal es sich nicht nehmen ließen, persönlich zu gratulieren.
Anlässlich seines 85. Geburtstags fand erneut eine große Feier in seiner Villa am Wannsee statt, wo dem Jubilar die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Berlin überreicht wurde. Die Festlichkeiten waren zugleich Max Liebermanns Abschied aus dem öffentlichen Leben. Er kehrte sich ab von der Welt, die ihm zunehmend zuwider wurde.

Den Aufstieg der Faschisten verfolgte Max Liebermann - für ihn, der nicht zu extremen Emotionen neigte - ungewohnt hasserfüllt. Seine Bilder offenbaren jedoch keine nachlassende Kraft. In leuchtenden Farben malte er Motive aus seinem Garten, für den er sich nach wie vor begeisterte.
Doch an einem frostigen Winterabend musste er fassungslos am Fenster im zweiten Stock seines Hauses am Pariser Platz den Fackelzug des enthemmten Nazimobs, der die Ernennung Adolf Hitlers (1889-1945) zum Reichskanzler und den Wandel Deutschlands in ein totalitäres Regime feierte, verfolgen und äußerte beim Betrachten seinen berühmten Ausspruch: “Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.“
Fraglos auch um der Erniedrigung des unvermeidbaren Ausschlusses zuvorzukommen, legte Max Liebermann am 7. Mai 1933 die Ehrenpräsidentschaft sowie die Mitgliedschaft in der Akademie der Künste nieder. Während kaum einer seiner einstigen Weggefährten den Kontakt zu ihm aufrechterhielt, suchte einzig Käthe Kollwitz noch Zugang zu ihm. 1934 versuchte sie ihn vergeblich zum letzten Mal zu besuchen und beschrieb spürbar niedergeschlagen: “War bei ihm. Er ist krank und nicht zu sprechen.“ Er schien in Depression zu verfallen, äußerte wiederholt, er fühle sich verlassen, habe mit seinem Leben abgeschlossen und wolle nur noch sterben. Der einst kämpferische Geist gab auf.
Max Liebermanns Grab in Berlin
Quelle: Mario Graß
Am 8. Februar 1935 starb Max Liebermann in seinem Haus am Pariser Platz. Der Tod des noch kurz zuvor hoch angesehenen Künstlers war den bereits gleichgeschalteten Medien keine Nachricht wert. Zu Liebermanns Beerdigung am 11. Februar 1935 erschien kein offizieller Vertreter der Stadt, deren Ehrenbürger er seit 1927 war und kein Würdenträger, der in der Vergangenheit Liebermanns Nähe gesucht hatte. Unter der unverhohlen drohenden Beobachtung der Gestapo versammelten sich nur wenige Aufrechte um seinen schlichten mit weißem Flieder bedeckten Sarg, darunter Käthe Kollwitz, das Künstlerehepaar Hans und Mathilde Purrmann, die Maler Konrad von Kardorff und Otto Nagel, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch sowie der Bildhauer Georg Kolbe.
Es ist tragisch und eine Schande, dass jemand, der sich um die Kultur in Deutschland derartige Verdienste erworben hat, seine letzte Lebensphase verbittert und einsam verbringen musste, wobei ihm die verhängnisvollsten und menschenverachtendsten Auswüchse des Nationalsozialismus durch seinen Tod erspart geblieben sind. Die Ausreise seiner Tochter Käthe, die einige Tage nach den Novemberpogromen mit ihrer Familie in die USA emigrierte und dort den Rest ihres Lebens verbrachte, musste er nicht mehr erleben.
Erinnerung an Martha Liebermann am Pariser Platz
Quelle: Mario Graß
Am 4. März 1943 erhielt seine Witwe die Mitteilung, ihre Deportation in das KZ Theresienstadt stände unmittelbar bevor. Sie sah keinen Ausweg, schluckte in der darauffolgenden Nacht eine Überdosis des Schlafmittels Veronal, sodass der Beamte, der am folgenden Vormittag Martha Liebermann zum Abtransport in das Konzentrationslager abholen wollte, die Frau ohne Bewusstsein vorfand. Am 10. März 1943 starb Martha Liebermann im Jüdischen Krankenhaus von Berlin.
“Prisoner“, 2007, 20 x 15 inches, pastel on paper
Quelle: Katharine Whild
Mit der Emigration von Käthe und dem Selbstmord von Martha war das traditionsreiche Licht der Familie Liebermann, die über Generationen das gesellschaftliche Leben in Berlin mitbestimmt hat, erloschen. Max Liebermanns Ur-Enkelin Katherine ist in die Fußstapfen ihres berühmten Vorfahren getreten und lebt heute als Künstlerin auf einer Farm in Maine. Ein Schattenriss sowie Möbel und Bilder forttragende Gestapo-Männer in ihrem Gemälde “The prisoner“ halten die Erinnerung an ihre Ur-Großeltern wach.

weitere Informationen: https://blog.mariograss.de/maxliebermann1/

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