Kultur

DER NSU-PROZESS. DIE PROTOKOLLE

Uraufführung am Staatstheater Kassel

GDN - Eine Stückentwicklung, die aktueller und bewegender kaum sein könnte, wird am 12.September in Kassel uraufgeführt. In Zusammenarbeit mit Petra Schiller hat Regisseur Janis Knorr aus den Protokollen des NSU-Prozesses eine Bühnenfassung, die sich auf den Mord an Halit Yozgat konzentriert, erarbeitet.
Am 6. Mai 2013 begann in München der größte Strafprozess Deutschlands seit der Wiedervereinigung. Am 11. Juli 2018 wurde das Urteil gesprochen. Fünf Angeklagte wurden beschuldigt, die Terrororganisation NSU gegründet oder unterstützt zu haben, eine rechtsradikale Gruppe, die zehn Menschen ermordet, drei Sprengstoffanschläge verübt, eine Brandstiftung und 15 Raubüberfälle begangen haben soll. In dem Verfahren wurden mehr als 600 Zeug*innen und Sachverständige gehört und über 60 Anwält*innen vertraten die fünf Angeklagten und 91 Nebenkläger*innen an 438 Prozesstagen.
Die vier Journalist*innen der Süddeutschen Zeitung Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler haben die Verhandlung vom ersten Tag an lückenlos verfolgt. Aus ihren Mitschriften ist ein umfangreiches Protokoll und damit auch ein Stück deutscher Geschichte entstanden, das ein Gesamtbild von zehn Jahren Terror, dem nicht endenden Schmerz der Opfer, dem eiskalten Vorgehen der Täter*innen, den Wegen der Ermittler*innen und der schwierigen Suche nach der Wahrheit vermittelt.
In der Kasseler Uraufführung entwickelt Regisseur Janis Knorr in enger Zusammenarbeit mit Dramaturgin Petra Schiller aus diesen Protokollen eine Bühnenfassung, die sich auf den Kasseler Mord an Halit Yozgat konzentriert, gleichzeitig aber versucht, sich sowohl inhaltlich als auch emotional mit dem gesamten “Kosmos“ des NSU-Prozess“˜ auseinanderzusetzen. Während die Dialoge größtenteils aus Originalzitaten bestehen, wurden bewusst die Täter*innen gestrichen. Knorr und Schiller streben an, die zugrundeliegenden, komplexeren Strukturen und Zusammenhänge herauszuarbeiten, jenseits von einem “wir gegen die“.
Dabei wird in der Inszenierung auch der Einfluss der Medien, institutioneller Rassismus und gesamtgesellschaftliche Solidarität thematisiert. Es ist der Versuch, einen Umgang mit der Unfassbarkeit des Geschehenen und des Geschehenden zu finden; denn nicht erst seit dem Mord an Dr. Walter Lübcke wird deutlich, dass im NSU-Prozess viele Fragen offengeblieben sind, ja vielleicht gar nicht erst gestellt wurden.
Wie kann es beispielsweise sein, dass ein beim Mord an Halit Yozgat in Kassel anwesender Mann vom Verfassungsschutz nichts mitbekommen haben will? Wieso wurden Akten vernichtet, Informationen verschleiert oder zurückgehalten? Wer hat den NSU unterstützt? Und auch: Welche Rolle spielt der NSU im Hier und Jetzt? Und wie gehen wir mit diesen Entwicklungen als Gesellschaft um?
“1. Oktober 2013, Tag 41 Ä°smail Yozgat: »[...] Als ich hineinging, habe ich auf dem Tisch zwei rote Tropfen gesehen. Ich habe mir gedacht, vielleicht hat Halit Farbe verschüttet. Dann habe ich meinen Sohn dort liegen gesehen. Er lag auf dem Rücken. Ich habe ihn auf meinen Arm gelegt. (Steht auf. Schreit.) Er gab keine Antwort! [...]« (Er tritt nach vorne an das Richterpult. [...] Yozgat legt sich auf den Bauch, um zu zeigen, wie sein Sohn lag. Er liegt direkt vor dem Tisch, an dem Zschäpe sitzt.)“
-Auszug aus den Protokollen
Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von GDN können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.