Kultur
KALEIDOSCOPE_TO THE DARK SIDE OF THE MOON am Theater Bielefeld
Ray Bradbury trifft Pink Floyd
(Quelle: Joseph Ruben )
GDN -
Eine fehlgeschlagene Weltraumexpedition, die Pink Floyds Album “The Dark Side of the Moon“ mit der poetischen Erzählung “Kaleidoscope“ von Science-Fiction-Autor Ray Bradbury verknüpft, feierte am vergangenen Donnerstag ihre lautstark beklatschte Premiere im Theater Bielefeld.
“Sie fielen. Sie fielen wie Kieselsteine in einen Brunnenschacht. Sie waren zerstreut wie Spielwürfel nach einem gewaltigen Wurf. Und anstelle der Menschen waren da nur noch Stimmen.“ Die Rede ist von todgeweihten Astronauten, deren Raumschiff infolge eines Kometeneinschlags explodiert ist und die Besatzung in die Weiten des Universums geschleudert hat.
Dort trudeln diese allmählich auseinander und somit ihrem ausweglosen Schicksal entgegen. Noch sind sie per Funk miteinander verbunden, aber stetig steuern sie auf die unvermeidliche Isolation und schließlich ihren Tod zu. Im Angesicht des unabwendbaren Ablebens stellen sich viele Fragen. Alte Rivalitäten und Befindlichkeiten, Reue, Neid, bislang unausgesprochene Gefühle und Verletzungen kommen zur Sprache.
Die Geschichte entstammt dem Werk “Der illustrierte Mann“, des US-amerikanischen Schriftstellers Ray Bradbury (1920-2012), dessen berühmtester Roman “Fahrenheit 451“ (1953), neben Orwells “1984" und Huxleys “Schöne neue Welt", zu den großen Dystopien des 20. Jahrhunderts zählt. Bereits zwei Jahre zuvor veröffentlichte er mit “Der illustrierte Mann“ einen ersten Meilenstein innerhalb der Science-Fiction, indem er das Augenmerk weg von technisch-wissenschaftlichen Beschreibungen hin zur poetischen Wirkung des Textes legte.
Dem Schweizer Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Daniel Rohr ist die Idee zu verdanken, Ray Bradburys berührende Erzählung mit dem legendären Konzeptalbum “The Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd zu verschmelzen, womit dieser ein bemerkenswertes Gespür zeigt, weisen die beiden auf den ersten Blick bezugslosen Werke bei genauerer Betrachtung doch erstaunliche Verbindungen auf.
Ray Bradbury lässt seine Figuren im Angesicht ihres baldigen Todes auf ihr Leben zurückblicken. Welche Bedeutung hat ein individuelles Menschenleben im Angesicht der unendlichen Weiten des Universums? Welche Taten, Gedanken und Motive waren im Rückblick gewichtig? Pink Floyd setzte sich 1973 während der Arbeit an “The Dark Side of the Moon“ mit vergleichbaren Fragen auseinander. Welchen Druck übt das moderne Leben auf uns aus? Welche Rolle spielt das Streben nach Macht und Geld? Was treibt Menschen in den Wahnsinn und welche anonymen Machtstrukturen beeinflussen das tägliche Leben? Welche Rolle spielt Mitmenschlichkeit und wie lässt sich die Lebenszeit sinnvoll nutzen?
Auf der Bühne im Bielefelder Theater am alten Markt (Inszenierung und Bühne: Michael Heicks) erhebt sich eine hohe Schräge, auf der sich die Schauspieler, an Drahtseilen befestigt, bewegen, die aber zugleich als Leinwand für effektvolle Videosequenzen (Sascha Vredenburg) fungiert. Somit gelingt es recht gut, die Schwerelosigkeit, in der sich die Protagonisten bewegen, darzustellen.
Vor der Bühne haben fünf Musiker (Dariya Maminova, Johanneke Haverkate, Julia Parusch, Friedemann Jörns und Max Gundermann) ihre Plätze eingenommen. Diese interpretieren die mit Soundcollagen gespickte Rockmusik von Pink Floyd neu und übertragen sie in Stücke für ein Klavier und ein Streichquartett, was hervorragend gelingt, denn sowohl die Schönheit der Melodien als auch die Experimentierfreude der Band bleiben erhalten, wenngleich Pink Floyd-Liebhaber den Bombastsound, zu dem die Musik zum Abschluss des Albums anschwillt, vermissen mögen.
Das Zusammenwirken von Musik (Musikalische Leitung: Norbert Stertz), Text, dem Agieren der Schauspieler (Jan Hille, Thomas Wehling und Christina Huckle, die gesanglich überzeugt und selbst am herausfordernden “Great Gig in the sky“ nicht scheitert) sowie den Videos verschmilzt zu einem mehrdimensionalen Sinneseindruck und entfaltet eine reizvolle suggestive Wirkung - ähnlich einem Kaleidoskop.
Nach etwa sechzig Minuten endet die musikalische Weltraumexpedition und damit ein Theaterabend über Sterblichkeit sowie die Frage, was uns Menschen im Kern ausmacht. Trotz des finsteren Themas und der hoffnungslosen Situation der Protagonisten findet der Abend ein positives, poetisches und wunderschönes Abschlußbild, denn im Gegensatz zum Pink Floyd-Album, das mit den Worten “matter of fact, it´s all dark“ endet, taucht am Bielefelder Theaterhimmel sehr wohl ein Lichtstrahl auf.
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