Kultur
Jean-Michel Basquiat-Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
BOOM FOR REAL
Basquiat. Boom for Real, Schirn Kunsthalle Frankf. (Quelle: VG Bild-Kunst Bonn & The Estate of J.-M. Basquiat)
GDN -
Unter dem Titel “Boom for Real“ zeigt die Schirn Kunsthalle bis zum 27. Mai eine Retrospektive mit Werken des Künstlers Jean-Michel Basquiat. Sehenswert ist die Ausstellung vor allem, da sie das kulturelle Umfeld, ohne das die Kunst Basquiats nicht verstehbar und nicht denkbar ist, beleuchtet.
Jean-Michel Basquiat zählt zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Ein Kunst-Superstar, dessen Werk die Schirn Kunsthalle, mehr als 30 Jahre nach seiner letzten Einzelpräsentation in einer öffentlichen deutschen Sammlung, vom 16. Februar bis 27. Mai eine sehenswerte, vielfältige Ausstellung widmet, welche die Entwicklung des Ausnahmekünstlers, dessen Inspirationen sowie sein soziales und kulturelles Umfeld in den Blick nimmt.
Am 22. Dezember 1960 wurde Jean-Michel Basquiat, der nur zwei Jahrzehnte später die Kunstwelt in Atem halten sollte, als er als erster afroamerikanischer Künstler und kaum älter als 20 Jahren, den internationalen Durchbruch in der Kunstwelt schaffte, im New Yorker Stadtteil Brooklyn, als Sohn einer kunstbegeisterten Mutter, die seine kreativen Interessen tatkräftig unterstütze, geboren.
In den späten 1970er Jahren hinterließ Basquiat mit seinem Klassenkameraden Al Diaz, mit dem ihn eine geradezu ungestüme kreative Leidenschaft sowie die Neigung sich mit impulsivem Verhalten in Schwierigkeiten zu bringen verband, unter dem Pseudonym “SAMO©“ auf Häuserwänden in Manhattan witzig-philosophische Aphorismen, die beachtliche Aufmerksamkeit erregten. Die Ausstellung in der Frankfurter Schirn eröffnet mit zahlreichen Fotos, die glücklicherweise aus der damaligen Zeit erhalten geblieben sind und auf denen diese temporären Schriftzüge zu erkennen sind.
Als das Stadtmagazin “The Village Voice“ die Identität der beiden Sprayer enthüllte, beendeten Basquiat und AL Diaz ihre Zusammenarbeit und verkündeten dies sichtbar mit dem unmissverständlichen Schriftzug “SAMO is dead“. Für Basquiat begann künstlerisch ein neuer Abschnitt. 1981 entstand sein Gemälde “Cadillac Moon“, in dem das Wort “Samo“ durchgestrichen ist und das erstmals von “Jean-Michel Basquiat“ als Urheber signiert wurde. Ein Name, der schon bald in aller Munde sein sollte.
1980 wurde Basquiat zu der Gruppenausstellung "New York/New Wave", an der Größen wie Keith Haring, Robert Mapplethorpe, Andy Warhol, Graffitikünstler aus der New Yorker Szene, aber auch Musiker wie Blondie und die Talking Heads beteiligt waren, eingeladen. Basquiat zeigte, noch unter seinem Pseudonym “Samo“, gleich fünfzehn zeitlose Werke. Basquiats Beitrag, für den er viel Aufmerksamkeit und positive Resonanz der Kunstkritiker erhielt, ist im zweiten Raum der Ausstellung nachempfunden.
Basquiats Bilder muten mit ihrem Verzicht auf perspektivische Gesetzmäßigkeiten, den einfachen Strichzeichnungen, der Verwendung von intensiven Farbtönen, den scheinbar wahllos platzierten Symbolen sowie dem chaotischen Sammelsurium aus Zeichnungen und Buchstaben, gelegentlich wie Kinderzeichnungen an, was durchaus beabsichtigt war. Basquiat betonte wiederholt sein Faible für Kinderzeichnungen, die er für interessanter hielt, als manche Werke namhafter Künstler. “I want to make paintings that look as if they were made by a child.“
Basquiats Werke sind voller explosiver Energie und flüchtig hingekritzelter Linien. Namen von persönlichen Helden tauchen auf, wobei es sich hierbei zumeist um Schwarze handelte, die in ihrem Leben Rassismus erfahren mussten und gleichwohl Großes erreicht haben, wie Muhammad Ali, Sugar Ray Robinson, Charlie Parker oder Miles Davis und die deshalb von Basquiat häufig mit einer Krone, die zu seinem Markenzeichen werden sollte, versehen wurden.
Basquiat schien seine kulturelle Umgebung, egal ob Kunst, Musik oder Mode - Bereiche die zu Beginn der 1980er Jahre in New York ohnehin eine unwiderstehliche Verbindung eingingen, förmlich aufzusaugen und als leidenschaftlicher Leser setzte er sich intensiv mit verschiedensten Themengebieten auseinander. Notizblöcke, Gedichte und Nachschlagewerke, darunter anatomische Fachliteratur, zahlreiche kunsthistorische Enzyklopädien sowie Schriften über afrikanische Felszeichnungen und weitere fremde Kulturen, befanden sich in seinem Besitz.
Einige dieser Werke sind in der Ausstellung zu sehen und verdeutlichen den Wissensdurst des jungen Mannes, der stets mit diversen aufgeschlagenen Büchern, die er um sich herum verteilte und aus denen er - neben dem beständig tonlos laufenden Fernseher sowie lauter Musik - seine Inspirationen gewann, malte. Diese Einflüsse sind in vielen seiner Werke deutlich erkennbar, so in dem Gemälde “Leonardo da Vincis Greatest Hits“, eine humorvolle und geistreiche Graffiti-Version einer Seite aus Leonardos Notizbuch.
In den folgenden Monaten erfolgte ein Aufstieg, wie ihn die Kunstszene zuvor noch nicht erlebt hatte. Basquiats Ausstellungen in angesagten Galerien wurden zu Triumphzügen. Im Alter von nur 21 Jahren wurde er zur Documenta nach Kassel eingeladen und nur ein Jahr darauf präsentierte ihn das New Yorker Whitney Museum, eines der bedeutendsten Museen der Welt, im Rahmen der renommierten “Whitney Biennale“. Dies bedeutete für den jungen Künstler nicht nur den Ritterschlag in der Kunstwelt, es zeigte auch unmissverständlich, dass die Fachwelt Basquiat für einen entscheidenden Teil des Weges hielt, den die Kunst in der Zukunft nehmen werde.
Auf einem kleinen Bildschirm in den Ausstellungsräumen ist Basquiat im Gespräch mit Andy Warhol, der geradezu väterlich den Arm um den aufstrebenden jungen Mann legt, zu sehen. Basquiat suchte zu Beginn seiner Karriere die Nähe zu Warhol, den er sehr verehrte und auch wenn dieser zunächst reserviert reagierte, gelangte Basquiat schließlich in Warhols berühmtes Atelier, die Factory, wo erste gemeinsame Fotos von den beiden entstanden. Basquiat war von diesem Zusammentreffen derart hingerissen, dass er innerhalb von zwei Stunden ein Doppelporträt der beiden Künstler, das in Frankfurt zu sehen ist, anfertigte und noch feucht bei Warhol ablieferte.
Die beiden Künstler, die von ihrem Wesen in vielerlei Hinsicht so unterschiedlich zu sein schienen, freundeten sich an, waren fortan häufig gemeinsam im New Yorker Nachtleben anzutreffen und beschlossen schließlich, sich an einer künstlerischen Zusammenarbeit zu versuchen. Während Warhol, der angeregt von Basquiat seit vielen Jahren wieder zum Pinsel griff, vorrangig grafische und serielle Elemente in seinem klaren, mitunter kühl und distanziert wirkenden Stil in die Zusammenarbeit einbrachte, bildete Basquiat mit seinen ausdrucksvollen, emotionalen Gesten hierzu den temperamentvollen Gegenpol.
Die Frage des Umgangs mit Ruhm, der ihn seit jeher faszinierte und anzog, beschäftigte Basquiat. Während mancher Ausstellungseröffnung brüskierte er Besucher und potenzielle Käufer, indem er mit Kopfhörern auf den Ohren und Marihuana rauchend durch die Galerieräume schlenderte und damit unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass er zwar Teil der elitären Kunstwelt war - ein Ziel, das er entschlossen und akribisch verfolgt hatte -, an dieser dennoch nur eingeschränktes Interesse besaß. Eine Ambivalenz, die ihn durch seine Karriere begleitete. “Er machte sich Gedanken über die Belastung durch Ruhm. Vielleicht hatte er schon eine Vorahnung, was kommen würde“, äußerte Kuratorin Eleanor Nairne.
Andy Warhols plötzlicher und unerwarteter Tod erschütterte Basquiat zutiefst. Er schuf ein Triptychon zu Ehren Warhols und beschäftigte sich erkennbar mit Themen wie Tod und Vergänglichkeit. Zeitgleich schien er zunehmend die Kontrolle über sein Leben, wie auch über seine Kunst und deren Vermarktung, zu verlieren. Basquiat plante gemeinsam mit dem Künstler Ouattara Watts in dessen Heimat, die Elfenbeinküste, zu reisen. Dort sollten Schamanen Basquiat von seiner Drogensucht befreien, doch die bereits gekauften Flugtickets blieben ungenutzt. Am 12. August 1988 starb Basquiat in seiner Wohnung, die er einige Jahre zuvor von Andy Warhol gemietet hatte, infolge einer Drogenüberdosis.
Die schillernde, vielschichtige Retrospektive in Frankfurt zeigt nicht nur die unbändige Dynamik von Basquiats Schaffen, vielmehr beleuchtet sie den Werdegang eines Künstlers unter besonderer Berücksichtigung seines kulturellen Umfelds, ohne das die Kunst Basquiats nicht verstehbar und nicht denkbar ist, denn sein Schaffen ist untrennbar mit seiner Zeit - den späten 1970er und vor allem den 1980er Jahren - und seiner Heimatstadt New York und den dortigen kulturellen Strömungen verbunden. “Wir wollen nicht den coolen, sondern den ganzen Basquiat zeigen,“ so Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn, auf der Pressekonferenz anlässlich der Ausstellungseröffnung.
“Als er starb, war mir sofort klar, welches Szenario herhalten musste, um ihn mit Erklärungen in den Griff zu bekommen: zu viel in zu kurzer Zeit, eine disziplinlose Gier nach Leben. Es ist das Wesen der Medienbestie, das Komplexe zu simplifizieren, bis es bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird“, äußerte sein Weggefährte Keith Haring prophetisch kurz nach Basqiuiats Tod. Nicht selten wird Basquiat auf das Image des “coolen Graffiti-Künstlers“ reduziert oder auf die Tatsache, dass er der erste schwarze Künstler war, dem der Durchbruch in der internationalen Kunstwelt gelang. Doch diese Etiketten werden ihm sicherlich nicht gerecht.
Die in der Schirn ausgestellten Gemälde, Fotos, Ton- und Filmbeiträge veranschaulichen die vielen Einflüsse, denen sich Basquiat ausgesetzt sah und die er fast wahnartig aufsog. Nimmt man sich ausreichend Zeit, und dies ist nötig, um Basquiats Werke zu erfassen und zu dechiffrieren, ist auch etwas von der Zerrissenheit seiner Identität zu erahnen.
“Ich weiß nicht, wie ich mein Werk beschreiben soll, weil es nicht immer dasselbe ist. Es ist so, als ob man Miles Davis fragen würde: wie klingt deine Trompete?“ (Jean-Michel Basquiat)
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